Splitter

 aus WOPs Poetologischem Tagebuch


Foto: Ingo Woesner

Foto: Ingo Woesner


Know how and know why

Die Poetologie ersetzt dramaturgisches know-how durch erzählerisches know-why.


Schuldfrage

Wer hat den deutschen Film ruiniert? Wart Ihr das?


Wiesengrund

Die Poetologie ersetzt das Berufsbild „script doctor“ durch das Berufsbild „script gardener“.

Drehbücher sind ja nicht krank, sie sind allenfalls unzureichend entwickelt. Krank sind allein die Vorstellungen der „Dramaturgie“.

Der Poetologe ist ein Gärtner im Biotop der Erzählkunst und kein Kurpfuscher in der Reha-Klinik für Untote.


Überraschung

Lieber Wolf Otto,

der Einführungskurs ist inzwischen vierzehn Tage her und ich fühle das Bedürfnis, mich für diese drei aussergewöhnlichen Tage zu bedanken. Ich bin ohne große Erwartungen nach Berlin gereist und war daher recht überrascht, dass mich ein Seminar derart beflügeln kann. Ich arbeite seit längerem an drei verschiedenen Projekten, die immer wieder durch zähe Pausen unterbrochen wurden: nie wusste ich, wie weiterzumachen und ob die Ideen überhaupt etwas taugen. Ich hatte kein Werkzeug zur Hand! Seit dem Workshop bin ich nun dabei, meine Skizzen und Entwürfe zu überprüfen, auszuwerten und sie mit Freude zu gestalten. Ich bin überrascht, wie vieles mir klar geworden ist und wie selbstverständlich mir die Dinge nun von der Hand gehen.

Mit besten Grüßen und einem herzlichen Dankeschön aus K.,

xxx


Kategorien

In der Poetologie unterscheiden wir zwischen 1. magischem poetischem Erzählen, 2. nicht-magischem poetischem Erzählen und 3. trivialem (nicht-magischem, nicht-poetischem) Erzählen. Deutsche Filme gehören fast ausnahmslos zur Kategorie drei, ein paar wenige schaffen es in die Kategorie zwei.


Content?

Dem Content fehlt es meist an Inhalt.


Visibility

Statt des trivialdramaturgischen „don’t say, show“ muss es poetologisch, also erzählerisch hochwertig heissen: „don’t say, don’t show, make it visible“.


Metaphysik

Das Gerechte – Ziel der Kunst (und nach Platon Ziel des Lebens, weshalb auch zurecht von „Lebenskunst“ gesprochen wird) – ist keine physikalische Grösse. Das ist der Grund, warum Drehbuchschreiben als eine auf das Gerechte zielende Tätigkeit kein Handwerk ist. Denn Handwerk gehört der physischen Welt an, es ist kein Instrument der Metaphysik.


Poetologie / Dramaturgie

Ich möchte gar nicht sagen, Poetologen spielen in einer anderen Klasse; sie pflegen eine andere Sportart.


Unter Niveau

Das Problem mit der existierenden Dramaturgie ist u.a., dass sie unter dem Niveau dessen statt findet, was dem Film Würde geben könnte.


Im Reich der Kunst

Wer das Reich der Kunst betreten will, muss die Welt des Profanen verlassen.


Luna und Lotte

Nun sind wir gestern Abend gegen halb zehn in einer Kneipe im Prenzlauer Berg nach Monaten des geduldigen Redens, des Ausprobierens, des Redens, des Verwerfens, des Redens, des Ergründens, des Redens, des Spielens mit Möglichem, des Redens, des Verschiebens, des Redens letztendlich auf den archimedischen Punkt gestossen, von dem aus das Gebäude der Geschichte von Luna und Lotte sich mit poetischer Wucht wird errichten lassen.


Besinnliches zur Weihnachtszeit

Wir leben in einem Land,
in dem die Ärzte die Gesundheit zerstören,
Anwälte die Gerechtigkeit
und Universitäten das Wissen.
Die Politik zerstört die Freiheit,
die Presse die Information
und Religion die Moral.
Banken zerstören die Wirtschaft,
Dramaturgen das Erzählen
und die Filmindustrie den Film.


Pfeiffersche Lektionen

Hallo WOP,

seit einiger Zeit drängt sich bei mir das Bedürfnis auf, Dir nochmal zu danken für die großartige Betreuung während unseres Drehbuchkurses in den letzten zwei Jahren. Dabei lass ich mich nicht zu solch einer „Gefühlsduselei“ hinreißen, weil dies zur Weihnachtszeit so üblich ist, sondern vielmehr weil ich auf ein Jahr voller grandioser Erlebnisse zurückblicken kann: Im Februar habe ich mit einem amerikanischen Autor in Pittsburgh an meinem Drehbuch Tango Tehrangearbeitet und gleichzeitig an meiner Arbeitstechnik gefeilt. Im September wurde mir mitgeteilt, dass mein Drehbuch ein Kandidat für das Sundance Script Lab 2015 in Utah ist und eine kanadische Produktionsfirma sich bereits um die filmische Umsetzung kümmert, während in der Zwischenzeit mein Partner den Roman zum Film entstehen lässt. Kontakte zu Gleichgesinnten kamen dabei von ganz allein zu Stande und ich bin mittlerweile auch Teil eines vielversprechenden deutschen Action-Projekts mit echtem  Blockbuster-Potential. In der ganzen Zeit kamen mir immer wieder deine Worte in den Sinn und ich musste oft schmunzelnd feststellen, dass die „Pfeifferschen Lektionen“ irgendwie gefruchtet haben. Am Ziel bin ich trotzdem noch lange nicht angelangt, doch erfreue ich mich am Weg, weil das Feuer weiterhin am Lodern ist. Ein Feuer, dass in deinem Kurs entzündet wurde. Ein gut gemeintes Buch ersetzt eben doch nicht die „manuelle Therapie“ und bringt den Autor vergleichsweise wenig voran, fehlt doch das Gespür für das Gelesene.

Auch wenn ich mich noch nicht als Autor bezeichne, da ich nicht jeden Tag schreiben kann, ist das Schreiben für mich im Moment vor allem eins – das schönste Hobby der Welt. Und wer weiß, vielleicht lässt sich damit irgendwann auch die Miete bezahlen…

Ich wünsche Dir eine geruhsame Endjahreszeit und viel Erfolg bei deinen Vorhaben im nächsten Jahr,

Gruß XXX


Kunst und Kreativität

Kreativität ist eine Bedingung für Kunst, sie ist aber noch nicht die Kunst selber.


ZEIT UND RAUM

Man übersieht leicht, dass gute Filme nicht nur eine Zeit-, sondern auch – wenn nicht gar in erster Linie! – eine Raumstruktur haben und dass eben diese Raumstruktur ihr Qualitätsmerkmal ist.


ÖFTER MAL WAS NEUES

Früher hat der Staatsminister für Kultur und Medien jedes Jahr einen INNOVATIONSPREIS DES DEUTSCHEN FILMS vergeben. Seit 2011 findet das nicht mehr statt – mangels Innovationen.


WELTFORMEL

e = md²
Diese Formel, die das Zeug hat, die poetische Welt zu erobern, stammt von meinem Meisterschüler Karsten Prühl. Sie besagt, dass Erzählen (e) Mitte (m) mal Drama (d) im Quadrat zu sein habe.


WIE MAN DREHBÜCHER SCHREIBT

„Erst schreibe ich das Ende, dann schreibe ich den Anfang, dann schreibe ich das dazwischen.“
– Samuel Fuller


Märchen

„Ich werde ein Märchen schreiben über einen Schmied“, sagte Wanja.

Wanja schrieb: „Es lebte einmal ein Schmied…“

„Ein solches Märchen gibt es schon!“, schrie Lenotschka auf.

„Echt?“, sagte Wanja und legte seinen Bleistift nieder.

„Na freilich“, sagte Lenotschka. „Es lebte einmal ein Schmied. Und eines Tages schmiedete er ein Hufeisen, und schwang dabei derart seinen Hammer, dass der Hammer sich vom Griff löste, zum Fenster hinausflog, vier Tauben tötete, die Feuerwarte traf, zur Seite wegflog, das Fenster im Haus des Brandmeisters zerschlug, über den Tisch flog, an welchem der Brandmeister selbst und seine Frau saßen, die Wand im Haus des Brandmeisters durchbrach und auf die Straße hinausflog. Und warf die Laternensäule zu Boden, stieß den Eisverkäufer um, und schlug Karl Iwanowitsch Schusterling gegen den Kopf, der einen Augenblick seinen Hut abnahm, um seinen Nacken zu lüften. Und als er auf den Kopf von Karl Iwanowitsch Schusterling prallte, flog der Hammer rückwärts, stieß abermals den Eisverkäufer um, warf zwei verkrallte Kater vom Dach herunter, kippte eine Kuh um, tötete vier Spatzen, und flog in die Schmiede zurück, und setzte sich gerade wieder auf den Griff, welchen der Schmied noch immer in der rechten Hand hielt. All das ging dermaßen schnell, dass der Schmied nichts bemerkte, und fortfuhr, das Hufeisen zu schmieden.“

Daniil Charms, „Märchen“


A Million Ways to Die in the West

A Million Ways to Die in the West
USA 2014

Wieder eines dieser in schöner Regelmässigkeit aus Hollywood auftauchenden hinreissenden Zauberstücke, bei dem alles am rechten Platz ist – im Gegensatz zu deutschen Filmen, bei denen am rechten Platz zumeist nichts ist – und vor deren erzählerischer Brillanz man vor Demut auf die Knie sinken möchte.


Who am I? - Kein System ist sicher

Who am I – Kein System ist sicher
Deutschland 2014

Ich hab mir den Film angeschaut, weil ich gelesen hatte, es handle sich um einen überragenden Thriller. Nachdem ich ihn gesehen habe, muss ich sagen, dass er weder das eine noch das andere ist. Um überragend zu sein, fehlen ihm – wie bei deutschen Filmen üblich – die zwei entscheidenden Eigenschaften Spannung und Tiefe. Und um Thriller zu sein, bräuchte er das namengebende Element, nämlich Thrill. Das korrekte deutsche Wort dafür ist Angstlust. Sie entsteht dadurch, dass der Zuschauer sich mit einer Bedrohungssituation identifiziert. Um das zu erzeugen, ist der Film erzählerisch jedoch ganz falsch angelegt. Das Zitieren von Thrillervorbildern ergibt noch keinen Thriller! Das deutsche Genrekino kommt bei aller Ambitioniertheit auch in diesem Fall nicht über die eklektische Nachahmung von Äusserlichkeiten hinaus. Der Film verfehlt es auf die vom deutschen Film hinlänglich bekannte Weise, sein Publikum zu führen und er bleibt ohne jede inhaltliche Substanz. Er ist gemessen an internationalen Erzählstandards belanglos. Der Film punktet wie im aktuellen deutschen Film üblich mit der Darstellung einer Welt und mit der Imitation vorgefundener Stile. Er bleibt somit bei der ästhetischen Strategie der Werbung stehen, wo ja auch durch die Erweckung des Anscheins, etwas zu sein, was man nicht ist, versucht wird, den Leuten heisse Luft anzudrehen.



Was ist Kunst?

Alle Künste vergeistigen den Menschen. Das ist ihr Sinn, ihr Zweck und ihre Aufgabe.


Menschen, Filme, Attraktionen

Die Entkörperung des Films durch das Verschwinden der Filmvorführung als öffentlichem Ereignis (Kinosterben) verändert die Cinephilie, weg von der Attraktion der Präsentationsweisen von Film, hin zu der Attraktion seiner Quelle.


Kontrollverzicht

Der poetische Autor gibt die Kontrolle ab, er lässt sich führen von Idee und Form.


Arbeit am Mythos

Mythisches Denken ist nicht nur etwas anderes als mythologisches Denken, es ist sein Gegenteil. Mehr: das eine ist die Negation des anderen.


Vom Machen und Werden

Ein gutes Drehbuch ist weniger etwas Gemachtes, als viel mehr etwas Gewordenes.


Lasst alle Hoffnung fahren

Es wird in Deutschland keine Serien geben in der Qualität von BREAKING BAD, HOMELANDS usw. Die amerikanischen Serien beruhen auf der dramatischen Erzählart und der poetischen Erzählweise. Deutsche Autoren – und mit ihnen die gesamte deutsche Film- und Fernsehgesellschaft – verstehen weder das eine noch das andere. Sie sind in einem Maß Produkte der Trivialdramaturgie, dass es sogar jenseits ihres Vorstellungshorizonts ist, dass die Sache auch anders gehen könnte, als es ihrer kleinmütigen, krämerhaften Sichtweise entspricht.


Film und FIFA

Film verhält sich zum film-industriellen Komplex wie Fussball zur FIFA.


Verwechslung

Es gibt auch Leute, die verwechseln Dramaturgie mit Geschmacksurteilen.


Urteilen Sie selbst!

Welche Prognose lässt sich einer Erzählkultur stellen, zu deren Standards es gehört, Stoff mit Geschichte, Welt mit Thema und Form mit Gestalt zu verwechseln?


Joyce

Nachdem James Joyce einmal in zwei Arbeitstagen nur zwei Sätze zu Papier gebracht hatte, antwortete er auf die Frage hin, ob er nach den richtigen Worten suche: „Nein, die Wörter habe ich schon. Ich suche nach der richtigen Reihenfolge.“

Aus: Mason Currey. Musenküsse. Die täglichen Rituale berühmter Künstler


Die einen und die andern

„Wenn der Wind des Wandels bläst, bauen die einen Schutzwälle, die andern bauen Windmühlen.“

– Aus China.


An die Freunde der “Heldenreise”:

Filme leben nicht von ihrer mythischen Struktur, sondern von ihrer mystischen.


Legitimität

Selbstverständlich ist es legitim, filme zu machen; mich persönlich jedoch interessiert als Poetologe das FILME machen mehr.


Königsweg

Wie Sie beim Drehbuchschreiben zu hochwertigen Erzählergebnissen kommen:

1. Schreiben Sie täglich!
2. Schauen Sie so viele Filme wie möglich!
3. Sprechen Sie mit mir so oft es geht!


Ergebnis

Es gibt (viele) Filme und es gibt (wenige) Werke. Die Poetologie arbeitet an Werken.s gibt (viele) Filme und es gibt (wenige) Werke. Die Poetologie arbeitet an Werken.


Missbrauch

Würde Filmmissbrauch unter Strafe stehen, wären die Gefängnisse voll von den Akteuren des deutschen Films, – und draussen wär endlich Ruh.


Denkbar

Es wäre denkbar, dass der jeweilige Zustand einer nationalen Filmindustrie in nicht unwesentlichem Maß davon abhängt, welches Verhältnis die betreffende Gesellschaft zum poetischen Denken hat.


Aus der Schweiz

Lieber WOP,

dank Deinem genialen Titelvorschlag und Deiner kompetenten Beratung ist mein Film inzwischen zu 80% finanziert und kommt zustande.

Gedreht wird im Januar und Februar.

Ich freue mich sehr und halte Dich auf dem Laufenden.

Beste Grüsse

XXX



Auskunft

Poetisch erzählen heisst, die Welt zum Sprechen zu bringen.


Disziplin

„Discipline ist remembering what you want.“

– David Campbell


September

Lieber WOP,

vielen Dank für den gestrigen BLOGSPRECH-Abend im BABYLON. Ich bin „beGeistert“ nach Hause gefahren.

Ich habe deinen Kurs schon zweimal gemacht und trotzdem ist mir gestern der Gegensatz zwischen dem Nacherzählen von Ereignissen zum logischen Nachvollziehen einer Geschichte und dem „Anbieten“ einer (nicht notwenig logischen) Erkenntniskette als Erfahrungsraum zur „Übertragung“ einer Idee so deutlich vor Augen getreten, wie vorher noch nie.

Und mir ist endlich klar geworden, warum ich manchmal mit Unbehagen auf die Bilder eines befreundeten Künstlers geschaut habe und sich etwas in mir geweigert hat, das Kunst zu nennen: es ist eher Fernseh“kunst“  – und vielleicht deswegen auch ohne große Beteiligung im Vorbeigehen konsumierbar.

Es gibt wahrscheinlich unendlich viele langweilige Angebote über das  „Drehbuchschreiben“ und „Filmemachen“ und wenn ich diese Begriffe in anderen Zusammenhängen höre, fallen mir oft schon die Augen zu. Vielleicht geht es anderen genauso und sie bleiben lieber zu Hause, denn sie ahnen nicht, welch rare inspirierende Erkenntnisse ihnen entgehen. Ich jedenfalls freue mich jetzt schon auf deinen nächsten Gesprächsabend und hoffe, es wird nicht bis September dauern, wie du das angekündigt hast.

Viele Grüße – XXX


Fern oder tief

Fernsehen heisst Fernsehen, weil man damit in die Ferne sieht. Würde man im Fernsehen nicht in die Ferne sehen, sondern in die Tiefe, würde es nicht Fernsehen heissen, sondern Tiefsehen.


Eintritt

Im Reich des Geistes gibt es – im Gegensatz zum Reich der Filmförderung etwa – einen Platz für jeden. Man muss nur eintreten.


Authentizität

Authentizität ist kein Qualitätsmerkmal des FILMs, sondern eins des Fernsehens. Sie ist des Fernsehens Hauptkriterium geradezu. In der Authentizität einer dargestellten Welt ist Fernsehen am nächstsen bei sich selbst. Deutsche Filme, die sich charakteristischerweise mit dem mehr oder weniger originellen Abbilden von Welten befassen, lassen sich deshalb am treffendsten bezeichnen als Fernsehen mit Stil. FILME sind sie dadurch nicht.


Besitztum

Man muss immer erst in den Besitz einer Sache gelangen, bevor man ihr erzählerisch adäquaten Ausdruck zu verleihen vermag.


Geknechtete Seelen. Versklavter Geist. - Wo der Hund begraben liegt.

http://www.zeit.de/kultur/film/2014-04/oeffentlich-rechtliches-fernsehen-abschaffen


Love Steaks 

Deutschland 2013

Darstellerisch mit bemerkenswerter Frische und inszenatorisch von fulminanter Unbekümmertheit, bleibt der Film erzählerisch doch dort stecken, wo – von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen – alle deutschen Filme enden: bei Welt und Stil. Aufgrund der Abwesenheit erzählerischer Substanz wird deshalb auch dieser Film – mit Ausnahme der üblichen Verdächtigen des inner circle – an den Erwartungen des Publikums zerschellen. Gibt es denn auf den Filmhochschulen niemanden, der den jungen Talenten vermitteln kann, was eine Geschichte ist und wie man sie erzählt?!


Reichtum

Das Poetische ist das Beziehungsreiche.


Mittel der Wahl

Geschichten (im poetologischen Sinn) sind immer substanziell. Sie sind sozusagen das Mittel der Wahl des substanziellen Erzählens.


Grand Budapest Hotel

Dandyhafter Versuch, einen völlig sinnfreien skurrilen Bilderbogen auf ästhetizistische Weise so erscheinen zu lassen, als sei es ein Film.


Alternativlos

Wenn man das gute Erzählen befördern will, muss man zwangsläufig das schlechte bekämpfen.


Tschechow

Die erzählerische Leistung Tschechows liegt darin, das er in der Darstellung des Belanglosen alles Belanglose weg lässt.


Weltverbesserer

Wer gut erzählt, verbessert die Welt.


Konstellationen

Die Erzählführung sollte so gehalten sein, dass sich aus jeder gegebenen Information innerhalb des erzählerischen Kontexts eine neue Möglichkeitskonstellation ergibt. #Erzählqualität #Erlebensqualität


Sintflut

Man kann ja bekanntermaßen in allen Dingen auch das Positive sehen. So könnte man etwa annehmen, dass die Inflation des hochstaplerisch „storytelling“ genannten Geplappers unter Umständen sogar hilft, das Bewusstsein dafür zu stärken, dass es gutes Erzählen gibt (selten) und schlechtes Erzählen (sintflutartig) und dass das eine mit dem andern gar nichts zu tun hat.


Strategie und Taktik

Erzählart und Erzählweise verhalten sich zueinander wie Strategie und Taktik.


Geheimnisse

„Der Künstler bringt das Geheimnis seiner Zeit in sein Werk“, habe ich gelesen. Ich habe daraufhin mal angefangen, deutsche Filme nach ihren verborgenen Geheimnissen zu durchforschen, bin aber nicht fündig geworden. Mir scheint, es stimmt entweder etwas mit dem zitierten Satz nicht, oder mit dem deutschen Film. Vielleicht liegt’s aber auch an mir, und ich sehe einfach nicht, was doch für alle offenkundig ist.


Spiel mit Zeit

Drama ist Vergegenwärtigung der Zukunft von Vergangenem.


Paralym Pics

Der Begriff „Trivialdramaturgie“ ist eine Tautologie. Dramaturgie ist per se schon trivial. Sie ist sozusagen die Prothese für erzählerisch Gehbehinderte.


Abwesenheit

Das Poetische kennt weder Angst noch Eile.


Sein oder Nichtsein

„Ein zu aktiver Geist ist überhaupt kein Geist.“

– Theodore Roethke


Charakter

filme zeigen Charaktere,                                                                                                                                    

FILME haben Charakter.


Wirkkraft

„Poetisch“ heisst: auf Wirkkraft zielend, Wirkkraft erzeugend.


Regel

„Lasst uns langsam arbeiten, wir haben nicht viel Zeit!“
– Fritz Kortner


Große Filme

Große Filme werden vor allem dadurch groß, daß sie sich in einen großen geistigen Zusammenhang stellen.


Verhältnisse

FILM verhält sich zu film wie die Rede zum Gerede.


Banalität

Dass etwas klar ist, heisst nicht, dass es banal ist. Im Gegenteil: Unklarheit ist banal.


Höhenluft

Es ist eine alte Regel zwischen Menschen, die unterwegs sind, dass man sich oben auf dem Berg, jenseits der 1.000-Meter-Grenze, duzt. Für die tiefer gelegenen Regionen gilt das nicht. Merken Sie sich das!


Feierabend

Wenn morgen vom Bundesverfassungsgericht das Filmförderungsgesetz für rechtswidrig erklärt werden wird, wird das ein grosser Tag sein für den deutschen Film: er wird die historische Chance geschenkt bekommen, sich selbst neu erfinden zu dürfen. Ich stell schon mal die Flaschen kalt!


The Wolf of Wall Street

Goodfellas II – Bericht aus der Welt des fortgeschrittenen Gangstertums. Im Unterschied zum klassischen Gangstertum kennt seine moderne Variante keine Moral mehr. Ansonsten im Westen nichts Neues, aber DiCaprio und Scorsese at their best.


VHS

Auf einer Diskussion mit Regisseur Istvan Szabo über seinen OSCAR-prämierten Film MEPHISTO:
– Ein Zuschauer: „In ihrem Film haben die Hakenkreuze den Haken links, in Wirklichkeit geht der Haken aber nach rechts.“
– Szabo: „Wenn sie wollen verstehn Film, gehen sie zu Volkshochschule!“


Rashomon

Rashomon, Japan 1950

Letzte Woche lief auf ARTE wieder einmal das zeitlos gültige Meisterwerk RASHOMON des grossen Akira Kurosawa. Ich setze im Folgenden voraus, dass dem geneigten Leser der Film bekannt ist.

Es gibt etwas an dem Umgang mit dem Film, das ich schon immer gleichermaßen interessant wie verstörend fand und über das ich heute kurz sprechen möchte: in ziemlich allen Darstellungen, Rezensionen und Kommentierungen des Films wird gesagt, das Thema von RASHOMON sei die Frage nach der Relativität von Wahrheit. Doch eben dem ist ganz und gar nicht so!

Es wird in RASHOMON wohl unzweifelhaft der Frage nach der Wahrheit nachgegangen. Doch handelt es sich bei dem im Film dargestellten Versuch, herauszufinden, was angesichts der völlig unterschiedlichen Darstellungen der Beteiligten tatsächlich geschehen sein mag, nicht um das Thema des Films, sondern um seinen PLOT. Der Zuschauer wird in die Position eines Richters gebracht, der herausfinden möchte, was tatsächlich geschehen ist.

Wäre die Frage nach der Wahrheit nicht der Plot des Films, aber sein Thema, – was ja theoretisch durchaus möglich wäre -, so müsste sie in einem abstrakt-philosophischen Sinn zur Erscheinung gebracht werden. Indes geht es bei der Frage nach der Wahrheit in Kurosawas Meisterwerk nicht um eine philosophische Erkundung über Wesen und mögliche Relativität von Wahrheit, sondern um die Frage nach der KONKRETEN Wahrheit des in Frage stehenden Kriminalfalles. Das ist PLOT! Plot ist immer konkret und was in einem Film konkret ist, ist deshalb auch immer Teil des Plots.

Thema hingegen ist seinem Wesen nach und per definitionem abstrakt. Es ist das, was dem sinnlich Wahrgenommenem – dem Konkreten mithin – als sozusagen übergeordnete allgemeine – also abstrakte – BEDEUTUNG entsteigt. Es ist das, was beim Erzählen konkreter Geschehnisse „gemeint“ ist.

Das sinnlich konkrete Geschehen in RASHOMON nun – die Suche nach der Wahrheit der EREIGNISSE –  wird dazu benutzt, um thematisch etwas ganz anderes zu verhandeln als die Frage nach dem Wesen von Wahrheit und ihrer möglichen Relativität. Der Film beschäftigt sich – und damit den Zuschauer – mit der Frage, ob der Mensch von Natur „schlecht“ sei. Alle Beteiligten erscheinen als lügenhafte Gefangene ihrer tragischen Verstrickungen in Schuld, Scham, Angst und Wahn. Der Film lässt den Zuschauer spekulieren, sowohl über die Motive für das jeweilige Handeln der Beteiligten wie auch über die Gründe für die jeweilige Art der Interpretation dessen, was faktisch geschehen ist.

Und wie es beim guten – also beim poetischen Erzählen – dann so ist und zu sein hat, wird das Thema am Ende von RASHOMON in einer Idee aufgelöst: mag auch der Mensch und jedes einzelne seiner Exemplare, so lässt uns der Film erfahren, in seinem Handeln „schlecht“ sein, so besitzt er doch die Gabe der Liebe. Das ist RASHOMONS beglückende und universelle Idee von der condition humaine. Der Film HANDELT von der Suche nach einer Wahrheit, aber er BE-handelt die Frage nach der Moralität des Menschen.

Seltsam, dass das nicht gesehen wird, oder? Die Gründe dafür herauszufinden wäre interessant. In ihnen kann man Antworten finden auf die Frage, warum es beim Umgang mit Film so viele schwer wiegende Missverständnisse gibt.


Sprache und Sprechen

Bemühe dich um schöne Sprache! Bemühe dich um korrekten Ausdruck! So wie der Schriftsteller sich um schöne Sprache und um korrekten Ausdruck bemühen muss, so muss der Filmautor sich um schöne FILMISCHE Sprache und um korrekten FILMISCHEN Ausdruck bemühen.


Gutes Jahr für deutschen Film

Ich habe im verflossenen Jahr zwei deutsche Filme gesehen, die mir gefallen haben. Das ist überdurchschnittlich viel. Beide beruhen auf einem gut entwickelten Drehbuch, beschäftigen sich nicht mit Figurenpsychologie und setzen stark auf ihr Thema. Der eine Film heisst FACK JU GÖHTE, der andere HANNA ARENDT.


Sonst noch was?

– Frage an Thomas Mann: „Was braucht es, um ein guter Schriftsteller zu werden?“

– Thomas Mann: „Guten Schlaf und Zigaretten.“


Blau ist eine warme Farbe

BLAU IST EINE WARME FARBE
Frankreich 2012
Palme d’or, Cannes 2013

„Die 15-jährige Schülerin Adèle beginnt ihre Sexualität zu entdecken, während sie im Literaturunterricht Marivaux’ La Vie de Marianne kennenlernt. Ihre Freundinnen bestärken sie, Sex mit dem älteren Mitschüler Thomas zu haben. Für kurze Zeit werden beide ein Paar, Adèle beendet aber die Beziehung. Auch eine kurze Liaison mit einer scheinbar lesbischen Mitschülerin scheitert.
Zwischenzeitlich war Adèle in der Fußgängerzone in der Stadt eine junge, anscheinend lesbische Frau mit blaugefärbten Haaren aufgefallen, zu der sie sich auf den ersten Blick hingezogen fühlte. Die beiden treffen sich zufällig in einer Lesbenbar wieder, flirten miteinander und die junge burschikose Emma, eine Kunststudentin, lässt sich von Adèle den Namen ihrer Schule geben. Tatsächlich holt Emma Adèle auf dem Schulhof ab, was später zum Streit und Zerwürfnis mit einigen homophoben Freundinnen von Adèle führt. Zwischen Adèle und Emma entwickelt sich eine leidenschaftliche Liebesbeziehung. Während Emma offen damit gegenüber ihren Eltern umgeht, verschweigt Adèle ihre Beziehung Vater und Mutter und gibt Emma als Nachhilfelehrerin für Philosophie aus.
Beide ziehen später zusammen. Adèle dient Emma als Muse. Gleichzeitig beginnt Adèle eine Ausbildung zur Grundschullehrerin. Sie fühlt sich aber in Emmas kultiviertem Freundeskreis nicht wohl, wo sie nur Anschluss zum Schauspieler Samir findet. Als Emmas Bilder sich nicht verkaufen und sie immer öfter als Grafikerin mit ihrer früheren Lebensgefährtin Lise zusammenarbeitet, fühlt sich Adèle einsam. Sie beginnt eine kurze Affäre mit einem Arbeitskollegen. Emma kommt dahinter und wirft ihre Freundin aus der gemeinsamen Wohnung. Adèle leidet sehr unter der Trennung und versucht die innere Leere mit mehr Arbeit zu kompensieren.
Ca. 3 Jahre später treffen sich beide in einem Restaurant wieder. Obwohl Adèle und Emma noch sehr starke Gefühle füreinander hegen, entschließt sich Emma zu ihrer neuen Lebensgefährtin Lise zurückzukehren, die ein Kind mit in die Beziehung gebracht hat. Einige Zeit später folgt Adèle einer Einladung zu Emmas erster Vernissage. Dort trifft sie Samir wieder, der mittlerweile als Immobilienmakler arbeitet. Betrübt verlässt Adèle die Ausstellung und läuft nach Hause. Samir versucht ihr zu folgen, wählt aber den falschen Weg und läuft in die entgegengesetzte Richtung.“

Dies ist die Darstellung der Handlung auf WIKIPEDIA und mehr gibt es dazu auch kaum zu sagen. In epischer Breite (der Film dauert drei Stunden!) dürfen wir Teil haben an den ersten Erfahrungen einer jungen Frau mit Liebe und Sexualität, an pubertärer Unsicherheit, Neugier, Lust, Leidenschaft, Freude, Qual und Schmerz und all dem verdammten Zeug. Da der Film von Regisseur Abdellatif Kechiche keine Geschichte, sondern nach Art des europäischen Autorenkinos nur vorzeigend – also trivial – erzählt, ist er über weite Strecken langweilig. Als Zuschauer bleibt man stets Beobachter und wird nie zu eigenem Erleben gebracht.

Der Film ist allerdings auffällig durch die akribische psychologische Genauigkeit der Inszenierung und das beeindruckend authentische Spiel der beiden Darstellerinnen Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos. An letzterem dürfte der Regisseur ebenfalls keinen geringen Anteil haben. Wie man jedoch hört, haben sich die beiden Damen dahin gehend erklärt, dass sie mit dem Regisseur nicht mehr zusammenarbeiten würden, da er sie während der Dreharbeiten „terrorisiert“, „wie Prostituierte behandelt“ und sie gezwungen habe, Dinge zu tun, die sie „lieber nicht getan“ hätten. Man muss sagen, das darstellerische Ergebnis gibt eher dem Regisseur recht! Ich persönlich vermute, dass es sich bei dem Streit mit einiger Wahrscheinlichkeit um einen inszenierten PR Coup handelt und wir sehr bald erfahren werden, dass sich Regisseur und Schauspielerinnen zu einer Fortsetzung von LA VIE DE L’ADÈLE, Part 1 & Part 2 (so der  Originaltitel) zusammenfinden werden. Ob ich mir den dann auch wieder anschauen werde, kann ich aber noch nicht versprechen. Es gibt ja schliesslich auch noch andere Dinge, die man tun kann, ausser anderen Leuten beim Leben zuzuschauen.


Kalaschnikoff

„Kompliziertes ist schlecht. Was gut sein will, muss einfach sein.“

Michail Timofejewitsch Kalaschnikoff (1919 – 2013)


Schreiberei

Der Autor, der diesen Namen zurecht tragen möchte, erhebt das Sinnfällige ins allgemein Gültige, in die Dimension des Geistes. Der Rest ist bloße Schreiberei.


Das spezifische Filmvergnügen

Das spezifische FILMvergnügen besteht für den Zuschauer darin, dass er sich selbst als geistiges Wesen erfährt.


Strategie der Poetologie

An die Stelle des Alten, Falschen setzen wir das Neue, Wahre. Das Alte, Falsche wird sich dadurch irgendwann von selbst erledigt haben.


Rauswurf

„Wer nicht denken will, fliegt raus!“

– Professor Joseph Beuys


Silbersee

„Wer weiter will, den trägt der Silbersee.“

– Kaiser/Weill, Der Silbersee


Priorität

Man liebe die Kunst in sich, nicht sich in der Kunst.
– Konstantin Stanislawski


Gerechtigkeit

Der Poetologe erachtet jene Filmpolitik als die gerechte, welche dem Film seine Würde wieder gibt.


Weihwasser

Die deutsche Filmbranche scheut die Qualitätsdebatte wie der Teufel das Weihwasser. Die Gründe dafür sind nicht schwer zu erraten.


Die gute Nachricht des Tages

Das ganze Problem deutscher Filme liegt darin, dass sie erzählerisch unzureichend sind. Die gute Nachricht: man kann das ändern.


Genau

– Herr Pfeiffer, was machen Sie denn beruflich so?
– WOP: Ich bin im Transportwesen tätig.
– Interessant! Und was machen Sie da genau?
– WOP: Ich bin Götterbote.


Zielsetzung

Das poetische Erzählen hat – ganz im Gegensatz zum trivialen – erst in zweiter Instanz die Ordnung des Materials zum Ziel; in erster Instanz zielt es auf die innere Ordnung des Zuschauers.


Einzug der Poetologen

Wir reden nicht darüber, wie man schreibt, sondern darüber, wie man gut schreibt.
Wir reden nicht darüber, wie man erzählt, sondern darüber, wie man Geschichten erzählt.
Wie reden nicht darüber, wie ein Film aussieht, sondern darüber, was ein Film ist.


Kunst und Handwerk

Ich möchte nicht sagen, dass poetisches Drehbuchschreiben ein Handwerk ist. Ich möchte sagen, dass es gewisser Fähigkeiten des Autors bedarf, ohne deren Vorhandensein die Aufgabe nicht bewältigt werden kann. Es handelt sich um Fähigkeiten, die man eher Künstlern zusprechen würde als Handwerkern.


Poetologische Übung

Ergänzen Sie den folgenden Dialog!

– Herr Pfeiffer, sie nennen sich „Film-Mentor“. Was ist darunter zu verstehen?
– WOP: Ein Film-Mentor ist jemand, der Filmen dabei hilft, das zu werden, was sie sein möchten.
– Ah, ja. Und woher wissen sie, was die Filme sein möchten?
– WOP: Die werdenden Filme erzählen es mir.


Rhetorische Frage

Es braut sich was zusammen. Allerorten steigt die Unzufriedenheit mit der Erzählqualität im Fernsehen. Fast täglich hört man jetzt öffentliches Klagen. Das Elend kann nicht länger verborgen werden.

Da fragt man sich: Sind die Fernsehfilme erzählerisch so elend TROTZ der allgegenwärtigen „Dramaturgie“, oder vielleicht WEGEN ihr?


Schöpfungsprinzip

Gestalt ist das Produkt des Spiels von Form und Zufall.


Rechtsvertretung

„Ich helfe Filmen auf die Beine“ heisst: ich bin Anwalt der Filme, nicht der Autoren.


Ausschluß

Ich habe übrigens überhaupt nichts gegen das triviale Erzählen; das mag jeder zu seinem Vergnügen nach Belieben betreiben. In der ernsthaften Beschäftigung mit Film jedoch hat es nichts zu suchen und auch von der FILMförderung sollte es ausgeschlossen sein.


Die amerikanische Methode

Peter Rommel, einer der ernst zu nehmenden deutschen Produzenten, lässt uns wissen, dass er in der „amerikanischen Methode“ der Filmherstellung das Heil sieht, einer Verfahrensweise, die darin bestehen soll, dass der Produzent der Leitstern ist, der nicht nur die merkantilen, sondern auch die inhaltlichen und ästhetischen Vorgaben macht, mithin bestimmt, „wie ein Film auszusehen hat“ (Rommel).

Das ist eine vorzügliche Idee, die von mir stammen könnte (ich hätte sie lediglich etwas anders formuliert, oder wie siehst du das, Peter?). Allerdings reicht der bloße Wille dazu nicht aus; denn die Idee setzt eins unabdingbar voraus: man muss in der Lage sein können, Stoffe zu entwickeln auf dem höchst möglichen erzählerischen Niveau. Dann, erst dann, kann sie anbrechen, die neue Zeit. So lange dies aber nicht der Fall ist, bleibt „die amerikanische Methode“ nur eine Worthülse, ein zahnloser Tiger.


Genau

– Herr Pfeiffer, was machen sie denn beruflich so?
WOP: Ich arbeite mit Drehbuchutoren.
– Und worin besteht ihre Arbeit genau?
WOP: Ich bin Angsttherapeut.


Inhalt

Alle reden von Content, niemand spricht über Inhalt.


Alte Schule

„Der Filmzuschauer steht unter völlig neuen, dem Prozess des Lebens entgegen gesetzten Rezeptionsbedingungen: Vom Gegenstand, von der sichtbaren Bewegung kommt er zu deren Sinngebung, zum Aufbau der inneren Rede. Der Erfolg des Films hängt zum Teil mit diesem im Alltag nicht zur Geltung kommenden neuen Typ von Gehirntätigkeit zusammen.“
- Boris Ejchenbaum, 1927


Richtiges im Valschen

So wenig es ein richtiges Leben im valschen gibt, so wenig gibt es poetisches Erzählen auf der Basis von trivialem Denken.


Pressfleisch

Was nun neuerdings überall als hoch gehandeltes „Storytelling“ verkauft wird, hat mit Geschichtenerzählen ungefähr so viel zu tun wie Pressfleisch mit Wiener Schnitzel. (Im Pressfleisch sind aber immerhin dann und wann noch kleinere Fleischrückstände nachweisbar.)


Weltanschauung

FILME machen ist eine Frage der Weltanschauung; filme machen auch.



Von der Natur

Das triviale Denken zielt erzählerisch naturgemäß auf Logik; das poetische Denken zielt erzählerisch naturgemäß auf Wirkung. Das heisst: Wer mit logischen Kriterien an die Aufgabe des Erzählens heran geht, wird gar nicht anders können, als triviale Resultate zu erzielen. Wer nach poetischen Kriterien vorgeht, schafft sich die Möglichkeit, seinem Erzählen  Wirkungsmacht zu verleihen.


Gebundenheit

Nicht alles Erzählen ist auch schon eine Erzählung, geschweige denn eine Geschichte. Damit das Erzählen zur Erzählung wird, bedarf es der Gebundenheit, damit es zur Geschichte wird, bedarf es der geschichtenspezifischen Gebundenheit.


Radikalität

Kunst muss radikal sein; denn wenn sie nicht radikal ist, ist sie keine Kunst.


Original und Fälschung

Einst wurde bei einem Kostümball – es soll in Monte Carlo gewesen sein – ein Wettbewerb ausgetragen, um zu entscheiden, wer unter den zwölf Gästen, die als Charlie Chaplin verkleidet erschienen waren, dem Original am nächsten kam. Zufällig war Chaplin selbst unter den Bewerbern. Er bekam den dritten Preis.


Keiner

Das Drehbuch zu dem Kurzfilm EINE GUTE GESCHICHTE, der nun auf der short list zum Kurzfilm OSCAR 2015 steht, wurde in einem Workshop entwickelt, den ich im Jahr 2010 unter dem Titel SHORTS FOR SALE durchgeführt habe. Die Idee der Veranstaltung war gewesen, in einer Gruppe mit einigen meiner ehemaligen MeisterschülerInnen Drehbücher für Kurzfilme zu entwickeln, die dann unmittelbar zum Verkauf in Form einer öffentlichen Versteigerung angeboten werden sollten. Das Drehbuch EINE GUTE GESCHICHTE stand – wie sechs andere in dem Workshop entwickelte Drehbücher auch – wochenlang im Internet, ohne dass auch nur ein einziges Gebot eingegangen wäre. KEINER hat sich dafür interessiert. Und das, obwohl ich etwa auf FACEBOOK am 07. Oktober 2010 vor 1.500 FACEBOOK-Freunden folgendes gepostet habe: „Das ist die Art von Filmen, die immer den Kurzfilm-Oscar kriegen.“ (Der Post kann in der Chronik meiner FACEBOOK-Seite WOLF OTTO PFEIFFER nachgelesen werden.) Von den anderen sechs Drehbüchern aus dem Workshop sind übrigens vier noch zu haben. Auf Nachfrage vermittle ich herzlich gern den Kontakt zu den betreffenden AutorInnen. Nicht jedes dieser Bücher wird es bis zum OSCAR bringen, aber es sind alles gut entwickelte poetische Geschichten, die angesichts der existierenden Erzählwüste in Deutschland nicht anders als „heraus ragend“ genannt werden können. Und noch etwas: im kommenden Monat beginne ich wieder einen Kurzfilmworkshop. Es sind noch Plätze frei.


Auf dem Weg zum OSCAR

Der auf der Grundlage eines von mir im Rahmen eines meiner Kurzfilmworkshops mit dem Autor Michael Seidel entwickelten Drehbuchs und von meinem Meisterschüler Martin Christopher Bode in Szene gesetzte Film EINE GUTE GESCHICHTE ist auf dem renommierten RAINDANCE Filmfestival mit dem Hauptpreis FILM OF THE FESTIVAL ausgezeichnet worden. Es ist das erste Mal, dass einem deutschen Film diese Ehre überhaupt zuteil wird. Der RAINDANCE-Gewinner ist automatisch für die short list zum Kurzfilm-OSCAR 2015 qualifiziert.


Verschwörungstheorie

Mit dem Aufstellen immer neuer „handwerklicher“ Regeln versucht die „Dramaturgie“ der Scharlatanerie den Anschein von Wissenschaftlichkeit zu geben. In Wahrheit handelt es sich um den Versuch der Mittelmässigkeit, mittels Bürokratisierung die Herrschaft über das Schöpferische zu erlangen.


Figuration

In der Figuration geht es nicht um die Figur, sondern um die Repräsentanz.


Erzählerische Produktionsästhetik

Gute, also poetische Drehbücher sind deshalb ungleich viel schwerer zu schreiben als triviale, weil man dafür seine gewöhnliche (triviale) Denkweise ändern muss zugunsten einer poetischen Denkweise. Die poetische Denkweise indes ist keine Variante der trivialen Denkweise oder deren bloße Höherentwicklung, sondern sie ist von ihr grundlegend verschieden. Die triviale Denkweise zielt auf Logik, die poetische Denkweise zielt auf (poetische) Wirkung.


Zwingende Voraussetzung

Die Prinzipien der poetischen Erzählweise sind für jeden verständlich. Ihre Wahrheit springt einen regelrecht an. Da das Problem aber darin besteht, sie auch anwenden zu können, zielt die poetologische Bildung darauf, jene Fähigkeiten zu entwickeln, die für die Ausübung der poetischen Erzählweise zwingende Voraussetzung sind.


Highlights der Filmdramaturgie

„Der übliche Spielfilm ist etwa zwei Stunden lang, beziehungsweise 120 Minuten.“

– Syd Field


Unfaßbar

Man mag es kaum mehr glauben, aber es gab mal eine Zeit, da galt fürs-Fernsehen-zu-arbeiten als eine respektable Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.


Fools

Any fool can make a rule,
and any fool will mind it.


Am Krückstock

Es gibt in der Dramaturgie zwei Konzepte, eines, das auf Logik beruht und eines, das auf Form beruht. Das logische Konzept ist geeignet für Menschen, die der Abstraktion nicht fähig sind. Es ist eine Art Gehhilfe für geistig Lahmende.


Gretchenfrage

Auf dem DRAMA-BLOG wird zum wiederholten Male die vermeintliche „Gretchenfrage“ der Dramaturgie gestellt:

http://drama-blog.de/peter-morgan-ueber-rush-oder-gretchenfrage-dramaturgie/

*****

Kommentar WOP: Wenn die Frage, wozu Struktur gut sein soll, ernst gemeint ist (was – ehrlich gesagt – schwer fällt zu glauben), dann ist hier eine ernst gemeinte Antwort: erzählerische Struktur hat die Funktion, den Erlebensprozess des Zuschauers zu lenken. Sie ist sozusagen der Anfang jeder wirklichen Dramaturgie als „Lehre von der Wirkung des Dramas“ (DUDEN). Für die deutsche Trivialdramaturgie ist aber selbst diese Binsenweisheit offenbar Neuland.
p.s. Die eigentliche Gretchenfrage lautet deshalb: Wie wollen wir es mit einer „Dramaturgie“ halten, die noch nicht einmal weiss, wozu Struktur „gut sein soll“?


Kinder und Zombies

„Das Burn-Out als allge­meines Phänomen. Sofort fallen uns dazu die deutschen Filme der letzten Jahre ein, die uns immer schon und von Anfang an völlig ausge­brannt schienen. Leer, lahm, schweigsam, depressiv. Von Zombies für Zombies. Oder hyste­risch, überdreht, laut schreiend. Von Kindern für Kinder.
Aber riskiert jemand etwas? Sind wir noch irgendwo ambi­tio­niert? Wenn schon nicht in der Politik, und mit uns selbst, dann in der Kunst, der Literatur, der Archi­tektur, dem Film? Gibt es Filme, die zeigen, wie wir hier leben?“

http://www.artechock.de/film/text/special/2013/cinema_moralia/09_26.html


Spielverständnis

Memet Scholl, ein anderer grosser Karlsruher, hat gestern während der Kommentierung der DFB-Pokalspiele den Unterschied zwischen Amateur und Profi erklärt: „Amateure können auch Fussballspielen. Sie können rennen, sie können kämpfen, sie besitzen Technik. Der Unterschied zwischen einem Amateur und einem Profi besteht darin“, sagt Memet, „dass der Profi weiss, WO ER STEHEN MUSS.“ Meine spontane poetische Reaktion war: das gilt fürs Drehbuchschreiben auch. Und deshalb steht das hier.


Tiefenschärfe

Wenn beim Filmemachen doch nur eben so viel Wert auf die Schärfe der Gedanken wie auf die Schärfe der Bilder gelegt werden würde!


Der Unterschied

Den Kunstausübenden – und dazu gehört der Geschichtenerzähler, während der Trivialerzähler dazu nicht zu zählen ist – trennt vom Rest der Welt die Art des Umgangs mit seinem Material. Denn es gibt eine triviale Ordnung der Dinge, die auf dem Alltags-Prinzip der Kausalität beruht. Und es gibt eine poetische Ordnung der Dinge. Letztere zielt auf Geistigkeit, also nicht auf die Dinge selbst, sondern auf ihre Stellung in einem Bedeutung schaffenden Kontext.


Eitelkeit

„Ohne Eitelkeit gibt es kein Schreiben. Egal, ob Autor oder Kritiker – Eitelkeit muss dabei sein. Sonst entsteht nichts. Thomas Mann war wahnsinnig eitel, Richard Wagner auch, und Goethe und natürlich Schiller.“
– Marcel Reich-Ranicki


Aufruf!

Liebe Handwerker!

Bitte lasst die Finger von der Filmkunst!


Lustvoll

Ist das nicht das eigentlich Lustvolle am Schreiben: einzelne kleine und kleinste Partikel ins Gefüge zu pflanzen, aus denen sich allmählich nach Maßgabe von Idee und Form eine erzählerische Gestalt bildet?


Zwei Probleme

Der deutsche Film hat zwei Probleme:
1. Man hat nichts zu sagen.
2. Man weiß nicht, wie man’s sagen soll.


Häufig

Häufig sind Filme eher organisatorische Leistungen als erzählerische.


Leichtigkeit

„Wenn man es nicht kann, dann ist ein Roman leichter zu schreiben
als ein Aphorismus.“

– Karl Kraus


Das Geheimnis guten Erzählens

Das Geheimnis des guten Erzählens liegt darin, dass es auf heiligem Wissen beruht, nicht auf akademischem.


Dienstleistung

Der Drehbuchautor ist eher der Diener seiner Geschichte, denn ihr Herr.


Oh Boy

Oh Boy – Deutschland 2012

OH BOY ist ein deutscher Film. Zwar könnte der Titel etwas anderes suggerieren, dass er etwa ein amerikanischer Film sei, ein englischer, irischer, australischer, kanadischer… Auch bemüht sich der Film, nicht wie ein deutscher Film auszusehen. In seiner post-existentialistischen Haltung und Ästhetik erinnert er an frühere französische Filme. Dennoch ist OH BOY ein deutscher Film. Woher ich das weiss, fragen Sie? Nun, man erkennt es daran, dass keine Geschichte erzählt wird!

Deutsche Filme erzählen grundsätzlich keine Geschichten. Und das ist ihr Problem. Denn die Menschen mögen Geschichten. Und da es Menschen sind, die ins Kino gehen, Menschen im Kino Geschichten mögen und deutsche Filme keine Geschichten erzählen, hat der deutsche Film mit dem Publikum ein Problem. Denn das, was der deutsche Film dem Publikum anbietet und das, was das Publikum gern möchte, sind zwei verschiedene, wenn nicht gar entgegengesetzte Dinge.

Nun kann man nicht sagen, dass der Film OH BOY erfolglos wäre. Er hat bei der Verleihung des deutschen Filmpreises mit sechs Auszeichnungen, darunter für das beste Drehbuch und die beste Regie, alle anderen deutschen Filme um Längen geschlagen.

OH BOY ist – ich stimme zu – ein herausragender Film. Allerdings ist er das nur in seinem Herkunftsland. Im internationalen Vergleich ist er eher belanglos. Dies sagt viel aus über den deutschen Film. Das massgebende Kino der Weltproduktion ist anders geartet. Der Hauptunterschied besteht darin, dass das massgebende Weltkino Geschichten erzählt. Denn das massgebende Weltkino hat Ahnung vom Geschichtenerzählen und es hat Ahnung vom Publikum.

Sprechen wir von den – im Kontext des deutschen Films – herausragenden Qualitäten, die der Film OH BOY hat. Sie liegen vor allem in zweierlei:  zum einen darin, dass er Haltung besitzt, und zum anderen darin, dass diese Haltung einen angemessenen und einheitlichen gestalterischen Ausdruck findet. Dies ist eine schöpferische Leistung des Autors und Regisseurs Jan Ole Gerster, die zweifelsfrei respektvolle Anerkennung verdient.

Allein, solche Qualitäten erwartet man im Grunde genommen von jedem Film. Wenn nun diese Selbstverständlichkeit von der deutschen Filmgemeinde in den Himmel gehoben wird, dann zeigt das um so mehr, wie erzählerisch armselig es in den Niederungen des deutschen Filmalltags sonst so zugeht. OH BOY ist gewissermassen ein Einäugiger unter Blinden.

Aus diesem Grund bleibt er auch ein Film für eine begrenzte Zahl von Zuschauern, nämlich solchen, denen an den spezifischen Qualitäten, die der Film besitzt, gelegen ist. Der Masse der Zuschauer ist daran nicht gelegen. Interessant sind diesbezüglich die Bewertungen, die der Film etwa von Zuschauern auf itunes erhält. Es gibt dort keine mittlere Bewertung, sondern nur vollständige Begeisterung (vier oder fünf Sterne), oder völlige Ablehnung (null Sterne oder ein Stern).

Wie kann es sein, dass das Publikum so unterschiedlich auf den Film reagiert? Es gibt einige bestimmte Publikumsgruppen, die von dem Film angesprochen werden. Eine Gruppe wird angesprochen von der Welt des Films. Diese Gruppe sind entweder Prenzlauer Bergler, ehemalige Prenzlauer Bergler, solche, die gern Prenzlauer Bergler wären oder es zu werden beabsichtigen. (Wobei Prenzlauer Bergler zu sein ja nicht allein eine Frage der Wohnadresse ist, sondern nicht zuletzt auch eine Frage einer Art bohemienistischer Lebensauffassung). Ich vermute mal, dass von den doch stattlichen 400.000 Zuschauern, die der Film hatte, die Hälfte auf diesen Personenkreis entfällt. Ihn begeistert der Film, fühlt er sich doch verstanden und sogar – in ironischer Weise zwar, die indes aber auch Bestandteil des Prenzlberger Lebensgefühls ist -, hofiert.

Etwa 100.000 Zuschauer dürfte die zweite Zuschauergruppe ausmachen: Mitglieder der film community und Cineasten. Ihnen gefällt – ganz zu Recht – der Stil und der Wille zum Stil, der den Film prägt wie lange kein deutscher Film mehr von Stil und Stilwille geprägt war.

Da ich selber sowohl im Prenzlauer Berg lebe und mich auch an Stil und Stilwille erfreue, war der Film für mich persönlich keine unangenehme Kinoerfahrung, allerdings auch keine überragende. Ich habe mich auch streckenweise gelangweilt; denn dem Film fehlt zur Gänze, was auch mich an Filmen – wie andere schlichte Gemüter auch – packt und begeistert: thematische Tiefe und Spannung. Der Film thematisiert nichts, er zeigt nur, was ist, so, wie deutsche Filme das eben tun: Welten mehr oder weniger stilvoll vorführen. Insofern kann ich verstehen, warum viele Leute, von denen ich gelesen habe und die ich getroffen habe, mit dem Film nichts anfangen können; denn sie sind keine Prenzlauer Bergler – weder geographisch noch „philosophisch“ -, und schon gar nicht interessieren sie sich für Stilfragen. Wir treffen hier also wieder auf die alte Krux, den zentralen Aspekt von publikumswirksamem Filmemachen: das Bekanntmachen mit Welten und Fragen von Stil verschaffen dem Publikum kein emotionales Erleben; sie sind bestenfalls ein intellektuelles Vergnügen für bestimmte Zirkel. Die emotionale Kraft von Filmen speist sich aus anderen Quellen: aus Erkenntnistiefe und aus Spannung. Mit beidem hat es der deutsche Film eben nicht so, selbst in seinen besseren Exemplaren nicht.


Unter dir die Stadt

Deutschland 2011

Beim Anschauen des Films UNTER DIR DIE STADT kam mir unversehens mein alter Mediävistik-Prof in den Sinn. Er hiess Kunst, und wenn er nicht gestorben ist, heisst er wohl auch heute noch so. Er hat sich immer vorgestellt mit den Worten: „Mein Name ist Kunst – wie Kunsthonig.“


Mein Name ist Nobody

- „Niemand wird bestreiten, dass im Mittelpunkt einer Geschichte eine Figur steht.“

– Ich bin dieser Niemand. Ich bestreite es kategorisch.


Ohne es

„Oft ist das Denken schwer, indes,
das Schreiben geht auch ohne es.“

– Wilhelm Busch


Wie man weit kommt

„Daher nun ist die erste, ja schon für sich allein beinahe ausreichende Regel des guten Stils diese, DASS MAN ETWAS ZU SAGEN HABE: o, damit kommt man weit.“

– Schopenhauer


Leistung

Die unbestrittene Leistung der „Dramaturgie“ besteht darin, das triviale Erzählen systematisiert zu haben. Darüber hinaus gehende Verdienste sind nicht erkennbar.


Vorschein

Der Vorschein von Kommendem ist nicht – wie es in der „Dramaturgie“ gesehen wird – ein Mittel des dramatischen Erzählens, sondern sein Prinzip. Als Mittel wäre es ins Belieben des Autors gestellt, als Prinzip ist es unabdingbar.


Epik, Lyrik, Drama

Bevor es Epik, Lyrik und Drama – also Erzählung, Gedicht und Geschichte – gegeben hat, gab es das Epische, das Lyrische und das Dramatische. Denn das Epische, das Lyrische und das Dramatische sind zunächst keine Kunstgattungen, sondern die Aggregatzustände unseres Bewusstseins. Der epische Zustand des Geistes richtet sich auf das Vergangene, der lyrische auf das Anwesende und der dramatische auf das Kommende. Die Kunstgattungen zielen jeweils auf den betreffenden Geisteszustand ihres Publikums.


Wette

Bischof Berkeley schrieb, dass es einen einfachen Test für die Wahrheit gibt: Würden wir unser Leben drauf setzen?

Ich wette mein Leben darauf, dass die „Lehren“ der „Filmdramaturgie“ nichts weiter sind als ein Haufen geballter Unsinn. – Wer wettet dagegen?!


Almanya

Deutschland 2011

Keine Geschichte! Stattdessen ein lose verbundener Bilderbogen mit einigen Höhen und etlichen Tiefen. Ich habe gehört, der Film wurde als aussergewöhnlicher deutscher Film gehandelt; – das muss wohl an den paar Höhen gelegen haben.


Krimi light

Ich lese: „Der Trend in der deutschen TV-Serie geht zu Krimi ‚light‘“.

Das kann als Eingeständnis verstanden werden, dass man Krimi nicht kann. Meine Prognose: Krimi ‚light‘ kann man auch nicht.“


Berühmte letzte Worte

„Im Gegenteil.“
– Henrik Ibsen


Unkundig

David Mamet über den Film „The Lady Eve“ von Preston Sturges:
„Tolle Geschichte. Wir sollten dabei nicht übersehen, dass sie nichts von dem enthält, was die Unkundigen ‚Figurenzeichnung‘ nennen, noch gibt es irgendeine der von ihnen geliebten ‚Backstories‘.


Antwort

Die Antwort auf die Frage, wie kann ich spannend erzählen, ohne zu dramatisieren, lautet: gar nicht!


Was der Bauer nicht kennt, …

Das grösste Hindernis beim Verfassen von Drehbüchern, jedenfalls solchen, in denen eine Geschichte im poetologischen Sinn erzählt wird, schafft man sich selbst, indem man bei der Ordnung seines Erzählmaterials den Kriterien der Verstandeslogik folgt. Das ist schwer zu verstehen, wenn man es nicht anders kennt.


Erfolgsformel

Gutes Erzählen ist immer erfolgreich.


Heimatfilm

Die Heimat des Poetischen ist der Zwischenraum.


Mutter und Sohn

Rumänien 2012

Der Film hat auf der Berlinale 2013 den Hauptpreis gewonnen. Im Kino hatte er weniger als 10.000 Zuschauer. Für beide Sachverhalte sprechen gute Gründe.

Ich möchte nicht sagen, der Film sei gut oder schlecht; für die erste Annahme spräche der Goldene Bär, für die zweite die Zuschauerzahlen. Um ihn als gut oder schlecht zu beurteilen, muss man sich auf Kriterien festlegen, nach denen man urteilt. Ich will im vorliegenden Fall ein solches Urteil nicht sprechen. Es sind ja bereits Urteile gesprochen worden, einmal von der Berlinalejury und einmal vom Publikum. Ich betreibe ungern Urteilsschelte; denn Urteile beruhen auf Interesen. Wollte man Urteile kritisieren, müsste man folglich die betreffenden Interessen angreifen. Daran ist mir bei Filmbetrachtungen nicht gelegen. Ich möchte hier nur zu verstehen geben, warum etwas ist, wie es ist.

Wie der Berlinalepreis und die Zuschauerzahlen zeigen, hätten die Urteile kaum gegensätzlicher ausfallen können. Und den Grund dafür vermute ich darin, dass Berlinalejury und Publikum nicht nach gleichen Kriterien geurteilt haben. Ich möchte nicht missverstanden werden: es ist nicht mein Wunsch, dass eine Berlinalejury und das Publikum die gleichen Kriterien zur Beurteilung der Güte eines Films anlegen. Ich hätte zwar auch nichts dagegen, fordere es aber auch nicht.

Ich war jedenfalls einer der unter 10.000 Zuschauern, die den Film im Kino gesehen haben. Ich bin sozusagen artig meiner cineastischen Pflicht nachgekommen, was nicht für alle Cineasten in diesem Land gilt, deren Zahl ja deutlich über 10.000 liegen dürfte. Die Mehrzahl hat sich offensichtlich gedrückt und wir dürfen annehmen, dass sie, wie die allgemeine Zuschauerschaft, ihre Gründe dafür hat, möglicherweise sogar die selben.

Obwohl der Film mich tendenziell eher gelangweilt hat, fand ich ihn in gewisser Weise interessant. Ich nehme an, dass das, was mein Interesse geweckt hat, auch für die Berlinale Preisverleihung ausschlaggebend war. Die Qualitäten des Films liegen nicht im Erzählerischen – womit wir auch schon identifiziert hätten, warum das allgemeine Publikum gleichgültig ist – sondern im Stilistischen. Der Ausnahmestatus des Films ergibt sich aus zwei stilistischen Besonderheiten: einmal aus der um ein Höchstmass an dokumentarischer Authentizität bemühten Kamera – was auch bemerkenswert gelingt! -und zum anderen aus einer radikalen, geradezu revolutionären Unbekümmertheit gegenüber geheiligten Grundsätzen der Schnittechnik, aus schnitttechnischem Neuland, um zeitgemäss zu sprechen.

Das Problem bei der Kinoauswertung ist nun allerdings, dass sich das allgemeine Publikum für filmische Stilfragen überhaupt nicht interessiert. Ob man das nun bedauert oder nicht, die Leute gehen aus anderen Gründen ins Kino, als bei stilistischen Etüden zuzusehen. Sie wollen etwas erleben. Und das ist ihr gutes Recht.

Diesem Wunsch des Publikums nachzukommen, ist unser Berlinale Preisträger aber weit entfernt. Er erzählt sein Material nicht als Geschichte, was Voraussetzung für einen Erlebensprozess wäre, sondern er zeigt nur eine Abfolge von Ereignissen, er berichtet, was – fiktiv oder nicht – geschehen ist. Es gibt keine Führungsfrage und es gibt kein Thema, entsprechend entstehen weder Spannung noch Neu-Gier. Das hätten wir besser machen können, Peter!

Wenn ich als Zuschauer nicht über eine Spannungsfrage geführt werde und wenn ich nicht „heiss“ gemacht werde auf eine Idee, dann ist mein Interesse an der Angelegenheit eben gering. Dann bleiben nur noch zwei Dinge, über die mein Interesse gewonnen werden kann: eine Welt und den Stil. Zum Verhältnis des Publkums zum Stil habe ich schon ausgesagt, bleibt nur noch die Welt. Im vorliegenden Fall ist aber auch da nicht viel Attraktives, bei dem man dabei gewesen sein müsste.

Dem grossen Publikum kann man folglich nicht übel nehmen, dass es so etwas nicht sehen möchte. Die Cineasten in Deutschland, die fehlenden 50 bis 100.000 hätten von dem Film aber mit Sicherheit Gewinn. Sagen wir’s mal so: trotz der gravierenden erzählerischen Mängel sind 10.000 Zuschauer unter Wert.


Alle Welt

Der Wikipedia-Artikel zum Stichwort „Spielfilmdramaturgie“ wird eingeleitet mit einem schönen Zitat Jean-Claude Carriéres: „Die Filmdramaturgie widmet sich dem ‚Geheimnis des Erzählens'“. In der Folge wird dann auf recht einfältige Art die 3-Aktstruktur erläutert. Über das „Geheimnis des Erzählens“ erfährt man kein Wort. Oder soll etwa gesagt werden, das Geheimnis des Erzählens bestünde in der 3-Akt-Struktur? Eine solch simplizistische Auffassung wird aber weder dem Geheimnis des Erzählens gerecht noch dem grossartigen Jean-Claude Carriére. Auch bei Wikipedia scheint aufgefallen zu sein, dass da etwas nicht stimmen kann, denn der Text enthält den redaktionellen Zusatz: „Dieser Artikel bedarf der Überarbeitung“. Wirklich? So ist sie doch, die Filmdramaturgie! Soll doch alle Welt es sehen!


Formatierung

Es wäre im poetologischen Sinn, die Art der Formatierung von Drehbüchern zu ändern.
Drehbücher sollten nicht in Bildern organisiert sein, sondern in Erlebenseinheiten.
Die Gliederung nach Bildern dient der leichteren Organisierbarkeit der Produktion, sonst nichts.
Die Gliederung nach Erlebenseinheiten dient dem Verständnis der Wirkungsstruktur.


Größe

„Denn nichts ist groß, was nicht wahr ist.“
– Lessing


Searching for Sugar Man

Dokumentarfilm - Schweden, 2012

Der Film, der dieses Jahr wohlverdient den Dokumentarfilm-OSCAR erhalten hat, erscheint zunächst wie ein kleines, im Nachklang wie ein grosses Juwel. Der Film ist ein Klassiker und insofern ein must watch. Ich möchte ihn uneingeschränkt empfehlen, zum puren Kinovergnügen wie auch als Studienobjekt für beispielhaft poetisches dokumentarisches Erzählen.

Ein Klassiker ist er insofern, als er über den Tag hinaus Bestand haben wird und auch in Jahrzehnten nichts von seiner Gültigkeit verlieren wird.

Beispielhaft ist er insofern, als er nicht auf das Nacherzählen von Ereignissen setzt, wie wir das von weniger bedeutsamen, besonders von unseren sattsam bekannten deutschen Trivialfilmen gewohnt sind, sondern dass sein Aufbau sich in kühner Weise ganz in den Dienst der Erlebensführung des Zuschauers stellt, um ihm dann in einem ebenso überraschenden wie grandiosen Finale seine göttliche Idee – so darf man es wohl nennen – erfahrbar zu machen.

Dabei handelt es sich bei dem Stoff um eine Petitesse, um nichts weiter als eine kuriose Marginalie aus der Geschichte der Popmusik.

Staunenswert ist jedoch, wie der Filmemacher – ich möchte ihm den Ehrennamen „Filmpoet“ verleihen und auch sein bürgerlicher Name sei mit Hochachtung ausgesprochen: Malik Bendjelloul -, wie der Filmpoet aus dieser Nichtigkeit, die auf den ersten Blick nichts weiter zu sein scheint als ein kleines Kuriosum, einen grossen Gedanken filtert. Und bewundernswert ist, wie er einen der Sache angemessenen Stil findet, mit dem er aus einer scheinbaren Belanglosigkeit eine Menschheitsutopie zaubert.

Es muss aber auch gesagt werden, dass der Film im ersten Drittel etwas schwächelt. Vom Zuschauer wird erst einmal etwas Geduld gefordert. Ich wage zu behaupten, ich hätte da zwei, drei Vorschläge gehabt, wie man den Zuschauer früher hätte in den Griff kriegen können. Doch für die zunächst abverlangte Geduld wird der Zuschauer dann in der Folge reichlich entschädigt.

Fazit: ein Film von einer künstlerischen Beseeltheit und einer geistigen Himmelskraft, von der der deutsche Beamtenfilm noch nicht einmal einen Traum hat.


Völkermord

Kulturverbrechen sind Menschheitsverbrechen – eine Art geistiger Völkermord.


Zu Tode geschunden

Das grosse Genre Krimi, das zeitgemässeste aller Gesellschaftsdramen, mit all seinen ungeheuren erzählerischen Möglichkeiten wird im deutschen Fernsehen Tag für Tag schamlos und respektlos zuschunden geritten.


Max Beckmann - Departure

Dokumentarfilm. Deutschland 2012

Der Film besteht aus Erläuterungen zu Bildern Max Beckmanns durch „Experten“, die ergänzt werden durch pastoral vorgetragene Auszüge aus Beckmanns Tagebüchern und Briefen sowie dokumentarischen Einschüben im Wechsel mit von Bassstreichern untermalten Stimmungsbildern.

Das ist mir – mit Verlaub – erheblich zu wenig für einen Film, der den Anspruch hat, auf die Kinoleinwand zu wollen! Fürs Schulfernsehen mag das angehen; im Kino aber erwarte ich schöpferische Gestaltung, sozusagen eine künstlerische Eigenleistung! Damit ist gemeint: eine inhaltliche Idee und einen erkennbaren Willen, dieser Idee auf filmische Weise Ausdruck zu geben.

Als eine solche Idee hätte sich im vorliegenden Fall angeboten, einem Gedanken zu folgen, der aus den Tagebuchaufzeichnungen des jungen Beckmann stammt und der zugleich der einzig aufregende Gedanke des ganzen Films ist. Beckmann, der sich an dieser Stelle programmatisch zum Neuerer der bildenden Kunst stilisiert, sagt: »Es gibt meiner Meinung nach zwei Richtungen in der Kunst. Eine, die ja augenblicklich wieder einmal im Vordergrund steht, ist die flache, stilisierend dekorative, die andere ist die raumtiefe Kunst. Ich folge in meiner ganzen Seele der raumtiefen Malerei und suche in ihr meinen Stil zu gewinnen.«

Dass die Kategorie der „Raumtiefe“ für eine Künstlernatur wie Beckmann keinen ästhetischen Selbstzweck darstellt, dürfte sich von allein verstehen. In dem Film wird Beckmann immer wieder als Gott- und Wahrheitssucher bezeichnet und als besondere Qualität seiner Bilder ihre metaphyische Dimension betont. Es steht zu vermuten, dass im Zusammenspiel mit der Beckmann-eigenen Motivik eben jene „Raumtiefe“ das Operationsfeld ist, auf dem sich der vom Film behauptete metaphysische Gehalt der Beckmannschen Kunst ausmachen liesse.

Der bildenden Kunst sind ja – wie allen Künsten – in ihren Ausdrucksmöglichkeiten Grenzen gesetzt durch ihre Darstellungsmittel. Und die künstlerische Leistung besteht eben gerade im Ausnutzen dieser Beschränkungen. Das gilt für den Maler wie für den Filmemacher gleichermaßen. Eine reizvolle Aufgabe für einen Filmkünstler hätte nun darin bestehen können, mit den Beschränktheiten der eigenen künstlerischen Mittel, eben denen des Films, eine Entsprechung zu Beckmanns metaphysischer Raumtiefe zu versuchen und dadurch dem Zuschauer die Möglichkeit zu verschaffen, Beckmann auf Augenhöhe zu begegnen.

Weil der Film aber darauf verzichtet, einen eigenen geistigen Zugriff auf sein Material zu unternehmen, bleibt er – in Beckmanns Worten – stilisierend dekorativ, also flach. Mehr als ein Dokument über Beckmann wird er dadurch zum repräsentativen Zeugnis der künstlerischen Mut- und Kraftlosigkeit des deutschen Films.


Idioten

„Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben, wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann.“
– Mark Twain


Heldenreise

Mythologie von der Volkshochschule.


Koproduktion

„Kunst ist eine Koproduktion zwischen Gott und Künstler. Je weniger der Künstler dabei tut, desto besser.“
– André Gide


Ort des poetischen Geschehens

Bei einem Film kommt es nicht darauf an, was auf der Leinwand passiert, es kommt darauf an, was im Zuschauer passiert.


Für die Katz

Was nicht für den Zuschauer ist, ist für die Katz.


Schöpfungstiefe

Ein deutsches Gericht hat Pornofilmen den Urheberrechtsschutz abgesprochen. Grund: Mangelnde „Schöpfungstiefe“.
http://www.sueddeutsche.de/digital/ungewoehnlicher-gerichtsbeschluss-ueber-sexfilmchen-ohne-geistige-schoepfungstiefe-1.1709900
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WOP: So sieht’s aus! Das ledigliche Abbilden von Wirklichkeit stellt keine schöpferische Leistung dar. Und das gilt unabhängig vom Inhalt des Dargestellten, das heisst, es geht weit über Pornofilme hinaus. Da als schöpferisch im poetologischen Sinn allein die Gestalt gebende Interpretation angesehen werden kann, muss der Richter Poetologe sein. Dem Einwurf des Klägers, bei Pornofilmen handele es sich schliesslich um „Heldenreisen“, konnte das Gericht offenbar nichts abgewinnen. Wir gratulieren und freuen uns auf weitere poetologisch begründete Gerichtsentscheidungen. Vielleicht lässt sich gutes Erzählen am Ende gar juristisch erzwingen!

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Égalité

Vor der Kunst sind alle gleich.


Begrabener Hund

Die Fähigkeit einen guten Film* zu schreiben/machen, hat zunächst einmal mit Handwerk rein gar nichts zu tun, sondern damit, dass man sein Produkt versteht. Und eben da liegt der sprichwörtliche Hund begraben: man weiss unter Umständen gar nicht, was das wesentlich für eine Sache IST, an der man da arbeitet; man weiss lediglich, wie sie AUSSIEHT. Das ist das Kennzeichen des Amateurhaften: dass versucht wird, das Äusserliche einer Sache handwerklich nachzuahmen.


Liberté

Ein Poetologe würde nie auf die Idee kommen, poetologischer Diener von jemandem oder etwas zu sein. Ein Poetologe ist als Poetologe immer ein freier Mensch, mit keiner Autorität über sich als den ewigen Prinzipien der Kunst.


Mißverständnis

„In Bildern erzählen“ heisst nicht „abbilden“.


Bedarf

Der FILM braucht nicht MEHR Drehbuchautoren, sondern BESSERE.


Phantasie

„Phantasie ist etwas, was sich manche Leute gar nicht vorstellen können.“
– Gabriel Laub (könnte von der Schlitzohrigkeit her aber auch ein klassischer Karl Valentin sein!)


Dieses und jenes

Das poetische Erzählen unterscheidet sich vom trivialen Erzählen durch seine Geistigkeit. Im Entstehungsprozess wird in diesem Fall das Material organisiert (darin besteht seine Trivialität), in jenem das Zuschauererleben (darin besteht seine Poetizität).


Helden

Blöde Frage an die Freunde von der „Dramaturgie“: Wenn es sich beim Protagonisten in Eurer Terminologie um einen „Anti-Helden“ handelt, ist die Heldenreise dann eine Anti-Heldenreise oder eine Antihelden-Reise oder was?


Style

„I have two acting styles: with and without the horse.“
– Robert Mitchum


Glück

Zwei junge Filmemacher, mit Talent gesegnet, mit Phantasie, mit Frechheit und mit Energie ausgestattet, haben unter schwierigen Umständen und unter grossen Opfern ihren ersten langen Dokumentarfilm auf die Beine gestellt. Der Film ist geschnitten und jetzt sind sie unglücklich: das Ergebnis ist nicht so, wie sie es sich gewünscht hatten. Sie haben keine Idee mehr, was sie noch tun können. Was bleibt? Sie holen sich Rat. Ich schaue mir den Film an. Wir sprechen. Das Unglück verwandelt sich in eine neue Vision. So ist der Gang der Dinge. Es geht voran.


Ideen

„Wie oft verwechselt man Einfälle mit Ideen!“
– Hebbel


Verwandlung der Welt

Die epische Ansicht der Welt ist die gewöhnliche, es ist aber nicht die des Geschichtenerzählers im poetologischen Sinn. Der Geschichtenerzähler ist nicht Epiker, sondern Dramatiker. Er beschreibt die Welt nicht, er ahmt sie auch nicht nach, sondern er verwandelt die gleichgültige Welt mithilfe der Formensprache zu einem Gebilde höherer Bedeutung. Der Epiker ist Schrift-Steller, der Dramatiker ist Künstler.


Sakralarchitektur

Geschichten sind wie Kathedralen. Beide laden zur inneren Einkehr und dienen der Verbindung mit dem Ewigen.


Anerkennung

Anrufer: „Guten Tag! Ich interesse mich für Ihr Drehbuchseminar. Ist Ihre Ausbildung denn auch staatlich anerkannt?“
WOP: „Ich nehme keine Schüler, die sich staatliche Anerkennung wünschen.“


All there is

„There’s no such thing as character development; all there is is action.“
– David Mamet


Erzählweise

Es gibt verschiedene Arten von Filmen: instruierende, demonstrierende, registrierende, zeigende, Beweis führende, erfahrbar machende (letztere heissen „Geschichten“). Man kann daher keine Aussage darüber machen, wie ein Film zu schreiben sei bzw. wie er geschrieben werden könne, bevor nicht entschieden ist, um welche Art von Film es sich handeln soll. Steht die Art des Films dann fest, ergibt sich daraus die Erzählweise.


Kultur

Ist gutes Erzählen Kultur? Falls ja, was ist dann schlechtes Erzählen?


Nachtzug nach Lissabon

Ich habe den zugrundeliegenden Roman vor ein paar Jahren angefangen zu lesen und ich hab ihn nach 100 Seiten weg gelegt, weil ich ihn langweilig und prätentiös fand. Die eher mässigen Kritiken, die der Film bekommen hat, liessen meine Neugier auf ihn nicht wachsen. Und mir missfällt auch grundsätzlich die spekulative Politik von Produzenten und Filmförderern, aus Mutlosigkeit und Mangel an Phantasie auf erfolgreiche Romane zu setzen.
Eigentlich bin ich ins Kino gegangen, weil ich Lissabon sehen wollte. Und ich habe Lissabon gesehen! Darüber hinaus habe ich aber einen Film gesehen, der – mit gravierenden Einschränkungen, über die zu reden sein wird – erzählerisch zum Bravourösesten gehört, was ich in den letzten Jahren an europäischen Filmen gesehen habe.
Dabei habe ich nach den ersten zehn Minuten schon überlegt, ob ich vielleicht wieder gehen soll, die nächsten 15 Minuten hatten Passagen, die ich als peinlich empfand, und in den folgenden 20 Minuten schien die Sache nicht richtig von der Stelle gehen zu wollen. Und dann kam die Szene, die die eigentliche Geschichte in Gang setzt. Denn was an dem Film interessiert, ist nicht die Geschichte eines älteren Lehrers, der aus unerfindlichen Gründen auf Selbsterfahrungssuche geht, wie das im Roman der Fall ist und wie es in den Kritiken zum Film dargestellt worden war; was an dem Film interessiert, ist das Schicksal eines jungen Arztes, der in Opposition zu einem diktatorischen System steht und eines Tages einem als „Schlächter von Lissabon“ berüchtigten Schergen des vom Volk verhassten Salazar-Regimes nach einem Anschlag das Leben rettet. Der Film erzählt, wie der durch seine Tat als „Verräter“ stigmatisierte Mann damit umgeht. Am Ende stellt sich heraus, dass gerade durch seinen „verräterischen“ Akt der Menschlichkeit die portugiesische Nelkenrevolution vom April 1974, die Beendigung eines unmenschlichen Systems erst möglich wurde.
Das ist natürlich Fiktion und hat mit den tatsächlichen historischen Begebenheiten nichts zu tun. Aber wir reden hier ja über ein Kunstwerk und nicht über Geschichtsschreibung. Die Ereignise sind so, wie in dem Film dargestellt, nicht geschehen, aber sie hätten so geschehen können.
Der Film behandelt ein grosses Thema, führt es zu einer bedeutsamen Idee und tut dies zudem noch auf erzählerisch äusserst kunstvolle Weise. Denn die Ereignisse um den tragisch verstrickten Arzt werden nicht in chronologischer Reihenfolge erzählt, sondern erschliessen sich aus einer Art Puzzle, das sich aus den – chronologisch erzählten – Ermittlungen des Schweizer Lehrers ergibt und den Zuschauer gebannt auf das Ergebnis dieser Detekivarbeit starren lässt. Allen Freunden „alternativer“ Erzählweisen sei der Film zum Studienobjekt empfohlen. (Ich habe den Begriff „alternativ“ in Anführungszeichen gesetzt, weil es sich in Wahrheit um klassisches lineares Erzählen handelt; denn die Linearität ergibt sich natürlich aus der Linearität des Zuschauererlebens, unabhängig von der Behandlung der Zeit im Erzählen!)
Was an dem Film stört – und was ihn möglicherweise vielleicht sogar zer-stört, folgt man den negativen Kritiken – ist die unsägliche Dramaturgie der „Figurenpsychologie“, mit welcher der Lehrer (Jeremy Irons) als Protagonist erzählerisch belastet wird. Das ist nicht nur vollkommen überflüssig, sondern dem Erzählzweck auch extrem kontraproduktiv. Der Film gibt deshalb auch ein gutes Exempel für den Widersinn eines psychologistischen Filmverständnisses. Ich empfehle ihn wegen seiner erzählerischen Stärken, der Klarheit und psychologistischen Unbelastetheit seiner Kerngeschichte.
Der Film läuft nun seit fast drei Monaten in deutschen Kinos. In der Vorstellung, in der ich war, waren etwa 60 Zuschauer. Nachdem das psychologistische Brimborium nach ca. 45 Minuten abgehandelt war, herrschte gespannte Aufmerksamkeit, die dann nur gegentlich getrübt wurde durch weitere eingestreute Passagen zur „Figurenentwicklung“.
Der Film hat bisher 600.000 Zuschauer in Deutschland. Ich wünsche ihm, dass er noch zahlreiche mehr findet. Und dem Film als unschuldiger Kunstgattung wünsche ich, dass die psychologistische Figurendramaturgie aus besserer Einsicht in ihre erzählerische Unfähigkeit bald abdankt, oder man sie alternativ zum Teufel schickt.



Qualität

http://drama-blog.de/flugelschlage-im-wertegewitter/

WOP: Die „Dramaturgie“ wünscht keine Diskussion über Qualität. Das kann man verstehen; es würde ihr ja schliesslich an die Existenz gehen.


Einfachheit

„Simplicity, to me, is always the most beautiful and effective means of expression.“
– Gordon Willis, ASC


Die größte Frage von allen

Ob man man eine Geschichte auch ohne Drei-Akt-Strutkur erzählen kann, fragt der „Drama Blog“ und nennt diese Frage „die grösste von allen“.

http://drama-blog.de/anleitung-zum-regelbrechen/

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WOP: Mit Verlaub: Selbstverständlich ist es möglich, ein Drehbuch ohne 3-Akt-Strukur zu schreiben. Film ist mindestens so geduldig wie Papier. In einem Film kann jeder machen, was er möchte. Eine Geschichte zu erzählen ist ohne 3-Akt-Struktur indes schlichtweg nicht möglich. Die 3-Akt-Struktur hat ihre Existenz dem Wesen von Geschichten geradezu zu verdanken.
Nicht alles, was erzählt wird, ist eine Geschichte. Geschichten sind ein Sonderfall des Erzählens. Er ergibt sich aus ihrem einzigartigen Zweck, der darin besteht, durch einen Akt der Kommunikation – eben des Geschichtenerzählens – eine Idee erfahrbar zu machen. Damit dies möglich wird, muss der Rezipient (Leser/Zuhörer/Zuschauer) durch einen subjektiven Erlebensprozess geführt werden, dessen Abschluss die Erfahrung der Idee bildet.
Da der Erlebensprozess des Zuschauers ein Prozess ist, besitzt er – wie jeder Prozess – Prozesscharakter. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass er aus drei Teilen besteht: einem Anfang, einem Verlauf und einem Ende. Der Sinn der drei Akte besteht einzig und allein darin, diesen Erlebensprozess – ganz dem Zweck des Geschichtenerzählens gemäss – zu strukturieren. Die Akte sind also funktional: der erste Akt ist dazu da, den Erlebensprozess in Gang zu setzen; der zweite hat die Aufgabe, den Erlebensprozess zu intensivieren; und der dritte ist dazu da, ihn im Sinn der Erzählabsicht – Erfahrung der Idee – zu beenden.
Wo eine solche Funktionalität der Akteinteilung für das Erzählen nicht gegeben ist, macht die Gliederung in drei Akte deshalb auch wenig Sinn.


Off the Beaten Track

Ich hatte mir von dem Film etwas erhofft, das sich dann aber nur mäßig erfüllt hat. Es handelt sich um einen Dokumentarfilm über Schafzüchter im rumänischen Transsylvanien und mein Interesse galt dieser archaisch-bäuerlichen Welt. Der Film lässt einen teilnehmen an dieser Welt und er tut dies auf eine Weise, die sehr viel angenehmer ist als eine journalistische Fernsehdokumentation. Der Film ist gemacht im Stil des Cinéma Vérité, einem unkommentierten Beobachten von Geschehnissen also. Das ist bei weitem angenehmer zu sehen als die bevormundenden Fernsehdokumentationen, insofern als man sich wirklich ungetrübt von bescheidwisserischen Off-Texten auf die gezeigte Welt einlassen darf. Der Film bleibt sozusagen filmisch, da er sich allein mit den Mitteln des Films zeigt: Bildausschnitt, Tonausschnitt und Montage. Fernsehdokumentationen sind ja so gesehen keine Filme, sondern bebilderter Journalismus. Leider geht es nun aber bei unserem Film nicht über das Beobachten hinaus. Er besteht aus einer scheinbar willkürlich aneinandergereihten Abfolge von Episoden, die weder einen inneren Zusammenhang besitzen noch eine erzählerische Linie und deshalb bedauerlicherweise schnell ermüden. Dies ist ja eben das vielbezeugte Missverständnis beim Filmemachen: zu glauben, es würde schon reichen, bewegte Bilder zu produzieren. Soll der Zuschauer aber interessiert werden und interessiert bleiben, soll er gepackt werden und gepackt bleiben, sind drei Dinge erforderlich: Gestaltungswille, Gestaltungsvermögen und Gestaltungskraft.


Geschäftsmodell

Nehmen wir mal an, man hätte ein filmbezügliches Geschäftsmodell, das beruht auf erzählerischer Qualität, dann könnten zweierlei Voraussetzungen für den Erfolg dienlich sein:
1. Man hat selber eine Vorstellung davon, worin erzählerische Qualität besteht.
2. Man liefert sie.


Hilfe

Treffen gehabt mit dem Produzenten eines Imagefilms. Warum kommt er mit dem Drehbuch nicht klar? Er arbeitet an den „Bildern“ statt an der Bedeutung. Wie so oft heisst das Problem Diffusion des Denkens, Mangel an Klarheit, Mangel an Abstraktionsvermögen. Dem Mann kann geholfen werden.


Vermögen

Jedes Können setzt ein Vermögen voraus. Es ist sinnlos, etwas können zu wollen, wenn das dazu erforderliche Vermögen fehlt. Autorenschulung darf folglich nicht darauf angelegt sein, Können zu erlangen, sondern darauf, Vermögen zu bilden. Das Können kommt dann von allein.


Ohne Titel

Gestern habe ich einen österreichischen Film gesehen, der sich anfühlte wie ein deutscher. Ich weiss gar nicht, ob es wirklich ein Film war, denn im Grunde hat meistens eine Frau mit monoton-depressiver Stimme im Off gesprochen, während man im Bild sah, was sie erzählte. Einmal wurde ein Reh erschossen, sein Todeskampf war grausam. Später konnte man zusehen, wie Martina Gedeck einer Kuh hilft, ein Kälbchen auf die Welt zu bringen, live sozusagen, und als Ausgleich für das tote Reh. Leben und sterben halt – ewiger Kreislauf… Ich sage nicht, wie der Film hiess, denn ich will ihm nicht schaden. Er hatte, so schien es mir, ein ernstes Anliegen. Im Fernsehen kann man jeden Tag Filme sehen, die in ihrem sinnfreien Gekaspere noch viel deprimierender sind, obwohl sie lustige Titel haben und sich Komödie nennen. Was dieser Film wollte, den ich gestern gesehen habe und dessen Titel ich nicht nenne, obwohl ich ihn weiss, hat sich mir nicht erschlossen. Ich habe gelesen, der Film beruhe auf einem Roman, der aus den sechziger Jahre stamme und ein Welterfolg gewesen sei. Der Roman, stand in der ZEIT, habe als unverfilmbar gegolten, bis ihn nun der österreichische Regisseur doch verfilmt habe. Ja, das hat er. Aber warum nur?! Ist das Verfilmen unverfilmbarer Bücher schon eine Leistung an sich, die gewürdigt werden muss? Wenn das so ist, dann gehört die Krone sowieso mir allein! Ich habe letztes Jahr das unverfilmbarste aller unverfilmbaren Bücher verfilmt: Martin Heideggers SEIN UND ZEIT. Es ist der radikalste aller Filme: er kommt nicht nur vollständig ohne Ton aus, sondern auch ganz ohne Bild.


Ursprung

„Der Ursprung des Kunstwerkes und des Künstlers ist die Kunst.“
– Heidegger


Der große Gatsby

Das erste, was bei diesem Film im wahrsten Wortsinn ins Auge springt, sind natürlich die grandiosen Choreographien, das Markenzeichen des Bühnenmagiers Baz Luhrmann. Wer opernhafte Opulenz mag, der wird den Film allein schon deshalb fabelhaft finden. Dabei verselbständigt sich die inszenatorische Phantasie nie, sondern stellt sich in jedem Augenblick in den Dienst der Geschichte. Zusammen mit Co-Autor Craig Pearce ist es Luhrmann gelungen, F. Scott Fitzgeralds literarische Jahrhundertparabel vom durch Gier nach Geld und Macht zerstörten amerikanischen Traum für den filmischen Zweck konzentriert zu transskribieren und auf unaufdringliche, aber eindringliche Weise erfahrbar zu machen. Indes stellt sich der Filn nie aus, er buhlt in keinem Moment um Bewunderung; dadurch wird er für uns vor allem eins: bewunderungswürdig.


Tauschmittel

Die Absicht des Geschichtenerzählers muss übersetzt werden in die Akzeptanz durch den Rezipienten. Das Mittel dazu ist die Form. Sie ist das Tauschmittel des Geistes, ähnlich der Funktion des Geldes im Warenverkehr: sie macht den Austausch möglich kraft ihres Charakters als gemeinsames Gleiches.


Quantenphysik

Mit der Erzählstruktur einer Geschichte verhält es sich wie in der Quantenphysik: ob das Drehbuch drei-aktig oder fünf-aktig erscheint, hängt vom Blickpunkt des Betrachters ab.


Über Schuster

Zu wissen, was eine Geschichte ist, ist für den Geschichtenerzähler ungefähr so wichtig, wie für den Schuster zu wissen, was ein Schuh ist.


Wenn das Werk gelingen soll

Meine MeisterschülerInnen waren heute sehr tapfer, als sie erkannt haben, dass sie nicht am Material arbeiten dürfen, sondern an der Form arbeiten müssen, wenn das Werk gelingen soll.


Hegel - Ästhetik

Das Buch liest sich, als hätte der Mann einen Kurs bei mir besucht.


Teuer

“Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.”
– John F. Kennedy


Avantgarde

Steven Soderbergh hat eine Diskussion über den Verfall von Filminhalten angezettelt. Eine solche Diskussion würde dem deutschen Film auch gut anstehen. Wäre eine solche Initiative vom deutschen Film ausgegangen, hätte er sich nicht nur ein mal auf der Höhe der Zeit zeigen, sondern auch einen Tendenz bildenden Status mit entsprechender Reputation erlangen können. Aber wie kann man das erwarten, wo der deutsche Film doch selber nichts zu sagen hat und auch gar nicht gewillt ist, etwas zu sagen?! Oder welcher deutsche Film hat in den letzten 30 Jahren einen nennenswerten Beitrag zu philosophischen, anthropologischen, sozialen oder auch ästhetischen Fragen geliefert?


Anfänger

Es ist ein Kennzeichen des Schreibanfängers, dass er zu seinen Personen fair sein und sie in ihrer ganzen regellosen Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit darstellen möchte.


Der Autor als Gesamtkunstwerk

Diese Woche ist die zweite Sitzungsreihe meiner aktuellen Drehbuch Meisterklasse. Ich darf in grossem Stil wieder tun, was ich am liebsten mache: Autoren inszenieren.


Kleines Lektorat

Auf einer Skala von 0 bis 10:

Klarheit. 7
Geschlossenheit. 8
Tiefe. 5
Spannung. 2

Thema. 5
Welt. 7
Teleologie. 3
Stil. 5

Das ist eine kleine Filmerzählung, nicht ohne Charme, billig zu machen.
Man hat ein gewisses Interesse daran aufgrund der Darstellung der Welt und des Themas. Im Stil ist es sicher. Es besteht aus klaren Tableaus und hat ein paar schön ausgeführte Szenen. Die Charaktere sind treffend gezeichnet und thematisch gut orchestriert. Die Erzählung besitzt hinreichend Offenheit, um das Thema in den geschaffenen geistigen Räumen wachsen zu lassen. Die Erzählung geht liebevoll mit ihrem Protagonisten um und führt die Sympathie zu einem geschlossenen Ende.

Ein Nachteil ist sicherlich der Mangel an Spannung. Die Erzählung ist beschreibend und hat keine Führungsfrage. Es ist kein dramatisches, sondern beschreibendes Erzählen. Aus diesem Grund wird es schwer sein, den Film zu finanzieren. Es kann nicht mit einem zahlenmässig grossen Publikum gerechnet werden. Das kleine Publikum, das der Film finden kann, wird ihn jedoch aufgrund seiner liebevollen, ja zärtlichen Erzählhaltung überwiegend mögen.

Ein Problem sind die Rückblenden, bei denen sicher gestellt werden muss, dass der Zuschauer die Personen identifizieren kann. Als problematisch betrachte ich auch die Selbstgespräche sowie die handschriftlichen Notizen. Ersteres reduziert die Wirklichkeitsillusion und macht das Geschehen tendenziell theaterhaft. Letzteres ist problematisch, weil der Zuschauer nicht gerne liest. Man kann die Probleme dadurch lösen, dass man sie zu dezidiert stilistischen Elementen ausgestaltet.


Ergriffenheit

„Es liegt am Künstler, wenn das Publikum nicht ergriffen wird; denn das Publikum kommt immer ins Theater, um sich ergreifen zu lassen.“

– Schiller


Fragen und Antworten

Wie sagte einer der Teilnehmer bei meinem Einführungsseminar in XXX so schön: “Mir ist an diesem Wochenende vor allem eins klar geworden, nämlich dass ich in den drei Jahren, die ich auf der Filmschule war, gelernt habe, die falschen Fragen zu stellen.”

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WOP: Sind richtige Antworten auf falsche Fragen richtige Antworten oder falsche Antworten?


Film magic

In der vergangenen Woche war ich bei einer Filmvorführung zu Gast, bei der es einen deutschen Dokumentarfilm aus dem Jahr 1986 zu sehen gab. Dank der Emsigkeit des Veranstalters war die bemerkenswerte Zahl von 30 Zuschauern gekommen, für einen fast 30 Jahre alten Dokumentarfilm eine durchaus ansehnliche Zahl.
Bemerkenswert – und selbst für mich ausgesprochen überraschend – waren dann aber vor allem die Reaktionen der Zuschauer auf den Film. Die Anwesenden schienen auf eine gewisse magische Weise erfasst zu werden und in dem anschliessenden Filmgespräch war man sich auf rührend naive Weise einig, dass man diesen Film „wieder in die Kinos bringen“ müsse. Es wurde gar die spontane Gründung einer Initiative erwogen, welche eben dies anpacken solle.
Bemerkenswert war diese Reaktion besonders aus zwei Gründen:
Zum einen „geht“ es in diesem Film scheinbar um gar nichts. Im Mittelpunkt steht ein Taxifahrer, der zufälligerweise im Jahr 1945 an einem bedeutsamen historischen Ereignis teilgenommen und die Erinnerung an dieses Ereignis auf streckenweise skurrile Art zu seinem Lebensinhalt gemacht hat. Der Film zeigt einen zweifellos politisch naiven Menschen, vielleicht sogar einen Wichtigtuer, er handelt von Geschichtstourismus, man spricht über Hühnerrassen, Schweineaufzucht und Milchproduktion, über mitgebrachte Souvenirs und Saufgelage; es geht um Nichtigkeiten, um Dinge, die kaum der Rede wert sind.
Zum anderen ist die Erzählung eingebettet in Begebenheiten, die von der Weltgeschichte längst überholt sind.
Dennoch war das Publikum der Ansicht, der Film besäße zeitlose Gültigkeit.
Der Grund für die Wirkung des Films rührt eben gar nicht von dem, was die Zuschauer sehen, sie rührt daher, was mit den Zuschauern passiert, während sie den Film sehen. Und was mit ihnen, den Zuschauern passiert, daraus ergibt sich die Aktualität des Films. Es ist sein verborgenes Thema, sein Unterstrom sozusagen, welches das Gefühl von Gültigkeit erzeugt. Einen solchen Unterstrom erzeugt zu haben, ist die Leistung des Films. Er verführt den Zuschauer zu einer geistigen Resonanz, in der es um das Verhältnis des Menschen zu Ideologien geht und er suggeriert, dass Ideologien etwas dem Leben Äusserliches und dem Glück Feindliches sind, dem Einzelnen aber, auch und gerade in seiner Unvollkommenheit, in seinem Lebensrecht die Priorität zu geben sei.
Absicht des Films ist es also nicht in erster Linie zu berichten, was passiert ist. Er benutzt stattdessen das dokumentarische Erzählmaterial, um den Zuschauer auf eine Reise in seine eigene geistige Welt zu schicken und ihm dabei zu helfen, die Dinge für sich zurecht zu rücken.
In einem Schlusswort äusserte ein Zuschauer die Auffassung, dass es viel zu wenig solche Filme gäbe.
Dem möchte ich nicht widersprechen.
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Der Film heisst JOE POLOWSKY – EIN AMERIKANISCHER TRÄUMER.
Falls ihn jemand zeigen möchte, er befindet sich im Verleih der Freunde der deutschen Kinemathek (jetzt: ARSENAL), oder er kann als DVD von mir bezogen werden.


Handwerk und Kunst

Ist Drehbuchschreiben Handwerk oder Kunst?

– Wenn das Ergebnis etwas Handwerkliches sein soll, dann ist es Handwerk; wenn das Ergebnis ein Kunstwerk sein soll, dann ist es Kunst.


Im Film und anderswo

„Im Film wird viel Schlechtes und wenig Gutes gemacht, wie anderswo auch.“
– Rudolf Arnheim, 1932


Robert McKee - Story

Ein lustiges Buch! Es heisst „Story“ (auf deutsch: Geschichte), es wird aber auf 400 Seiten nicht in einem einzigen Satz gesagt, was eine Geschichte überhaupt IST. Für die Poetologie, die sich ja bekanntermaßen mit dem WESEN des Erzählens beschäftigt, deshalb unbrauchbar.


Ausschluß

Im Gegensatz zur Dramaturgie hat die Poetologie noch nicht EINEN einzigen schlechten Film hervorgebracht. Wenn man den Prinzipien der Poetologie folgt, ist die Möglichkeit einen schlechten Film zu machen, gewissermaßen ausgeschlossen. Poetologie ist die Lehre davon, wie man GUTE Filme macht.


Kinematographie

Die Kunst, mit Bildern nichts abzubilden.

- Robert Bresson


Robert Bresson - Notizen zum Kinematographen

Im Grunde formuliert Bresson nur EINEN Gedanken. Allerdings einen für das Verständnis von Fim grundlegenden. Und so gesehen, genügt das auch.


Hysterie

“Die Demokratie ist eine Erzählgemeinschaft, die um ihre eigene Aufklärung ringt.
Die Postdemokratie ist eine hysterisierte Erzählgemeinschaft.“
– Georg Seeßlen

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WOP: Gilt das auch umgekehrt? Ist eine um ihre eigene Aufklärung ringende Erzählgemeinschaft Bedingung einer demokratischen Gesellschaft? Und schafft/verfestigt die Hysterisierung des Erzählens postdemokratische Zustände?
Falls ja, was folgt daraus?

p.s.
Hysterie: dissoziative Störungen (Konversionsstörungen) mit unterschiedlichen Leidensschwerpunkten: z.B. Amnesie = Erinnerungslosigkeit, Stupor = seelisch-körperliche Erstarrung, Störungen der Bewegung und der Sinnesempfindungen, Pseudo-Krampfanfälle usw.
Aufklärung: der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. (Kant)


Drehbuchlehrgänge

Bildungsgutscheine für “Drehbuchlehrgänge”: Qualifikation der Arbeitslosen durch die Ahnungslosen.


Verteidigung des Geschichtenerzählens gegen seine Freunde

Der aktuelle Hype in der Werbebranche trägt einen populären Namen: Geschichten erzählen!

Freilich, das Geschichtenerzählen eignet sich wie kein zweites Mittel für die Zwecke der Werbung. Geschichten sind das machtvollste Mittel der Kommunikation. Das ist allerdings keine Entdeckung der Werbebranche; das war schon immer so und es wird auch auf absehbare Zeit so bleiben. Geschichten besitzen diese konkurrenzlose Wirkungsmacht – ihren USP sozusagen – aufgrund ihrer speziellen Eigenheit, auf die wir weiter unten zu sprechen kommen wollen.

Doch, zunächst einmal, Liebhaber und Propagandisten des „Geschichtenerzählens“: nur weil etwas mal am Lagerfeuer erzählt worden ist, muss es noch lange keine Geschichte gewesen sein! Es mag wohl vorgekommen sein, dass am Lagerfeuer auch die eine oder andere Geschichte erzählt wurde; aber es bedarf keiner ausgeprägten Phantasie, um zu erkennen, dass am Lagerfeuer auch viel Müll geredet worden ist, dessen Wirkungskraft äusserst bescheiden war. Und mit den modernen Lagerfeuern ist es nicht anders, mit dem Unterschied vielleicht, dass die Menge des Mülls zu- und die Anzahl der Geschichten abgenommen hat, und dies nicht zuletzt dank des segensreichen Wirkens der Werbe- und PR-Strategen.

Der gegenwärtig entfachte Hype um das Geschichtenerzählen ist in Wahrheit nichts anderes als ein Mittel zur Selbstvermarktung der Werber. Ganz nach der Wesensart ihrer Branche wird auch hier versucht, gutgläubigen Menschen ein X für ein U vorzumachen. Man benutzt dabei den guten Namen „Geschichtenerzählen“, um dem Mist, den man macht, einen Adelstitel zu verleihen, so wie es eben werbestrategisch tulich ist, jeden Fusel als „Cognac“ zu bezeichnen, damit sich der Dreck verkaufen lässt. Das Schindluder, das zur Zeit mit dem bedauernswerten Begriff „Geschichtenerzählen“ getrieben wird, ist vor allem eins: Hochstapelei. Man segelt seinen trostlosen Seelenverkäufer zum Schein unter falscher Hoheitsflagge und tut so als sei man ein Kanonenboot.

Dass Geschichtenerzählen Kommunikation in höchster Güte ist, kann von niemandem bestritten werden. Doch wird nicht alles, dem man frech das Label „Geschichte“ anhängt, automatisch zum Erzählen in höchster Qualität. Denn nicht alles, was erzählt wird, ist eine Geschichte. Geschichten sind ein SONDERFALL des Erzählens.

Was eine Geschichte zu einem Sonderfall des Erzählens macht, ist die spezielle Erzählweise, die dafür Verwendung findet. Es ist eine Erzählweise, die sich von allen anderen Arten des Erzählens GRUNDLEGEND unterscheidet. Die jeweilige Erzählweise – das Erzählmittel also – ergibt sich aus dem Zweck des Erzählens, wie sich immer aus dem Zweck das Mittel ergibt. Der Zweck einer Geschichte besteht darin, eine Idee ERFAHRBAR zu machen. Und eine Idee erfahrbar zu machen ist eine Besonderheit der Kommunikation, ein Spezialfall, und ein Fall von ausserordentlichem kommunikativen Wert. Und eine Idee erfahrbar zu machen, ist auch etwas völlig anderes, als eine Idee verstehbar zu machen. In der Erfahrbarkeit liegt die Überzeugungskraft der Idee, denn schliesslich misst der Mensch nichts so viel Wahrheitsgültigkeit bei wie der eigenen Erfahrung.

Erfahrbarmachung geschieht als die Summe eines inneren Erlebens. Damit dieses Erleben stattfinden und zu einer Erfahrungssumme gebracht werden kann, ist die spezielle Erzählweise, von der hier die Rede ist, das erforderliche Mittel. Sie besteht darin, dass eine Abstraktion von der objektiven Gegebenheit des Erzählmaterials als Ereigniskausalität erzeugt wird. Die gemeinte Erzählweise folgt somit nicht der Logik der Kausalität der Ereignisse, sondern sie folgt der Logik der Kausalität des Wirkungsverlaufs. Das bedeutet: das Material wird zu einer Ordnung gebracht, welche diesen Wirkungsverlauf hervor zu bringen vermag. Einfaches Berichten, Nacherzählen ist für diesen Erzählzweck ebenso ungeeignet wie das Erzählen von Anekdoten, Witzen, Parabeln oder Gleichnissen. Berichte, Nacherzählungen, Anekdoten, Witze, Parabeln oder Gleichnisse sind nämlich keine Geschichten, sondern eben Berichte, Nacherzählungen, Anekdoten, Witze, Parabeln oder Gleichnisse.

Die Erzählweise der Geschichte verlangt vom Erzähler ein besonderes Vermögen, nämlich seinen Ausdruck mithilfe von Formen zu erzielen. Die Erzählweise der Geschichte ist Formsprache und in dieser Eigenschaft unterschieden von allen anderen Arten des Erzählens. Die spezifische Erzählweise der Geschichte macht sie zur Kunstgattung in dem Sinn, dass alle Kunst Formsprache ist. Ihr Kunstcharakter ist es auch, was uns bei Geschichten beglückt, überzeugt und stärkt: die Formsprache gibt Geschichten ihre Erlebens- wie ihre Überzeugungskraft; in der Allgemeingültigkeit ihrer Formsprache verbürgt sich die Geschichte für die Wahrheit ihrer erlebten Beispielhaftigkeit.

Alles zum „Geschichtenerzählen“ zu erklären, nivelliert nicht nur im Ergebnis die Qualität der Kommunikation – ist also auch für die Werbebranche letztlich kontraproduktiv -, sondern verwischt auch den Unterschied zwischen Geistesleistung und Geplapper. Trivialisierung von Geistesvermögen und Profanisierung von Kunst ist Ausdruck kultureller Armut, welche sich darin zugleich verfestigt.

Geschichten sind kultureller Menschheitsbesitz; die Fähigkeit, Geschichten erzählen zu können ist ein hohes menschliches Gut. Die gegenwärtigen Umtriebe der wie Pilze aus dem Boden schiessenden „storyteller“ birgt die Gefahr, dass dieser Menschheitsbesitz bis zur Unkenntlichkeit verwässert wird. Die Vehemenz, mit der dieser Entwicklung entgegen getreten werden muss, ergibt sich daraus, dass es sich hierbei um weit mehr als ein ästhetisches oder ein brancheninternes Problem handelt, sondern um ein gesellschaftliches, nämlich um nichts weniger als um die Errettung der Geistigkeit als menschlicher Lebens- und Entwicklungsgrundlage.

Rettet das Geschichtenerzählen vor seinen falschen Freunden! Es geht ihnen gar nicht ums Geschichtenerzählen, es geht ihnen um Geld! Wenn der Wein so lange verwässert wird, bis alle vergessen haben, was Wein ist und wie Wein schmeckt, und schliesslich Wasser für Wein halten, dann werden die Panscher es geschafft haben, als Weinhändler angesehen zu werden. Und genau dies scheint die Absicht der „storytelling“-Bewegung zu sein. Es handelt sich hier um eine Art Putschversuch von Weinpanschern, auf deren eigenen Weinbergen nur kümmerliche Dörrtrauben hängen.

„Are we all storytellers?“ No, we are not! Geschichtenerzähler ist nur, wer auch Geschichten erzählt und nicht, wer sein Gerede kurzerhand dazu deklariert. Wer das Geschichtenerzählen liebt, wer es ernst damit meint, das Geschichtenerzählen in sein altes Recht einzusetzen, der tut mit, dass auch in Zukunft Wein Wein bleibt und Wasser Wasser.

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Dieser Artikel entstand im Rahmen einer von Caroline Kliemt initiierten Blog-Parade zum Thema „storytelling in neuen Kontexten“.
Hier der Link zu allen Beiträgen:
http://storify.com/reichweite/blogparade-storytelling-in-neuen-kontexten


Potenz

“Tragen Thema und Idee in sich eine filmische Potenz?”

Aus: “Lektorat Dokumentarfilm” des Filmboard Berlin-Brandenburg.

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WOP: Ich habe keine Ahnung, was dieser Satz zum Ausdruck bringen soll. Er ergibt nur Sinn, wenn man hilfsweise annimmt, dass man beim Filmboard Berlin-Brandenburg unter Thema Stoff versteht und unter Idee Stil.


Alles auf Anfang!

Ich bin mit zwei Filmemachern verabredet. Ob ich helfen kann, eine Präsentation für einen Dokumentarfilm zu erstellen? Die beiden Filmemacher tun sich schwer damit. Sie wissen nicht, wie sie es anstellen sollen, damit die Präsentation überzeugt. Der Stoff ist interessant. Das Projekt besitzt augenscheinlich Potential, etwas Interessantes, wenn nicht Aussergewöhnliches zu werden. Die beiden Filmemacher zeigen mir den Brief einer Produzentin, die ernsthaft an dem Projekt interessiert ist. Die Produzentin nennt den Stoff „Thema“. Die beiden Filmemacher nennen den Stoff „Thema“. – Nun, wie es scheint, müssen wir auch da wieder ganz am Anfang anfangen, bei Begriffsklärungen, beim Unterschied zwischen Stoff und Thema, bei der Frage: was ist denn überhaupt ein Film?


Werk

Dramaturgie versteht sich gern als Handwerk. Das tut die Poetologie nicht. Sie will Geistwerk sein.


RASHOMON (Japan, 1950)

Diese Woche lief auf ARTE wieder einmal das zeitlos gültige Meisterwerk RASHOMON des grossen Akira Kurosawa. Ich setze im Folgenden voraus, dass dem geneigten Leser der Film bekannt ist.

Es gibt nun etwas an dem Umgang mit dem Film, das ich schon immer gleichermaßen interessant wie verstörend fand und über das ich heute kurz sprechen möchte: in ziemlich allen Darstellungen, Rezensionen und Kommentierungen des Films wird gesagt, das Thema von RASHOMON sei die Frage nach der Relativität von Wahrheit. Doch eben dem ist ganz und gar nicht so!

Es wird in RASHOMON wohl unzweifelhaft der Frage nach der Wahrheit nachgegangen. Doch handelt es sich bei dem im Film dargestellten Versuch, herauszufinden, was angesichts der völlig unterschiedlichen Darstellungen der Beteiligten tatsächlich geschehen sein mag, nicht um das Thema des Films, sondern um seinen PLOT. Der Zuschauer wird in die Position eines Richters gebracht, der herausfinden möchte, was tatsächlich geschehen ist.

Wäre die Frage nach der Wahrheit nicht der Plot des Films, aber sein Thema, – was ja theoretisch durchaus möglich wäre -, so müsste sie in einem abstrakt-philosophischen Sinn zur Erscheinung gebracht werden. Indes geht es bei der Frage nach der Wahrheit in Kurosawas Meisterwerk nicht um eine philosophische Erkundung über Wesen und mögliche Relativität von Wahrheit, sondern um die Frage nach der KONKRETEN Wahrheit des in Frage stehenden Kriminalfalles. Das ist PLOT! Plot ist immer konkret und was in einem Film konkret ist, ist deshalb auch immer Teil des Plots.

Thema hingegen ist seinem Wesen nach und per definitionem abstrakt. Es ist das, was dem sinnlich Wahrgenommenem – dem Konkreten mithin – als sozusagen übergeordnete allgemeine – also abstrakte – BEDEUTUNG entsteigt. Es ist das, was beim Erzählen konkreter Geschehnisse „gemeint“ ist.

Das sinnlich konkrete Geschehen in RASHOMON nun – die Suche nach der Wahrheit der EREIGNISSE – wird dazu benutzt, um thematisch etwas ganz anderes zu verhandeln als die Frage nach dem Wesen von Wahrheit und ihrer möglichen Relativität. Der Film beschäftigt sich – und damit den Zuschauer – mit der Frage, ob der Mensch von Natur „schlecht“ sei. Alle Beteiligten erscheinen als lügenhafte Gefangene ihrer tragischen Verstrickungen in Schuld, Scham, Angst und Wahn. Der Film lässt den Zuschauer spekulieren, sowohl über die Motive für das jeweilige Handeln der Beteiligten wie auch über die Gründe für die jeweilige Art der Interpretation dessen, was faktisch geschehen ist.

Und wie es beim guten – also beim poetischen – Erzählen dann so ist und zu sein hat, wird das Thema am Ende von RASHOMON in einer Idee aufgelöst: mag auch der Mensch und jedes einzelne seiner Exemplare, so lässt uns der Film erfahren, in seinem Handeln „schlecht“ sein, so besitzt er doch die Gabe der Liebe. Das ist RASHOMONS beglückende und universelle Idee von der condition humaine. Der Film HANDELT von der Suche nach einer Wahrheit, aber er BE-handelt die Frage nach der Moralität des Menschen.


Beruf

– „Herr Pfeiffer, was machen Sie denn beruflich so“?
– „Ich betreibe Kunstförderung und Kunst- und Künstlerbildung, insbesondere in dem Bereich, wo’s am Nötigsten ist, im Film.“


Einfachheit

»Vermeide alle Künstlichkeit und Extravaganz, alles, was geeignet ist, die Aufmerksamkeit auf dich zu lenken. Nichts bringt die Menschen einander so nahe wie Einfachheit.«
– Lew Tolstoi


Küsse

Die Muse kommt, wann sie will, und sie küsst, wie sie will. Alles was wir selber tun können ist, uns in freudiger Erwartung zu halten und geschehen lassen, was geschieht.


Maßstab

„Maßstab des Kunstwerks ist die Tiefe des Lebens, aus dem es entspringt.“
– James Joyce


Selbstbezug

Allzu viele Filme kümmern sich gar nicht um das Publikum, so sehr sind sie mit sich selbst beschäftigt.


Alleskleber

Kinos hießen früher mal Filmkunsttheater. Heute heissen sie Multiplex. Klingt wie ein Alleskleber.


Filme machen

„Es gibt viele gute Filme; man mus sie nur machen.”
– Kalle Becker


Den Geduldigen

„Da gibt es kein Messen mit der Zeit, da gilt kein Jahr, und zehn Jahre sind nichts, Künstler sein heißt: nicht rechnen und zählen; reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt und getrost in den Stürmen des Frühlings steht ohne die Angst, daß dahinter kein Sommer kommen könnte. Er kommt doch. Aber er kommt nur zu den Geduldigen, die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge, so sorglos still und weit. Ich lerne es täglich, lerne es unter Schmerzen, denen ich dankbar bin: Geduld ist alles!“
– Rainer Maria Rilke, Viareggio bei Pisa (Italien), am 23. April 1903


Fankultur

Der Poetologe ist ein begeisterter Anhänger des guten Erzählens und ein ebenso erbitterter Gegner des schlechten.


Vereinigung

Weltkino ist ein Genre. Es ist das Genre des „großen“ Films. Es ist dasjenige Genre, das alle „großen“ Filme aller anderen Genres in sich vereinigt.


Wissenschaft und Poesie

So wenig, wie die Poesie Wissenschaft sein will, so wenig ist die Wissenschaft Poesie.


Möglichkeiten

Das künstlerische Denken macht Dinge möglich, die anders nicht möglich wären. Zum Beispiel Kunst.


R.I.P.

„Wir haben alles, außer Männer mit Geist.“
– Sven Lehmann (27.10.1965–03.04.2013)